Wohlfühl-Innenstadtkonzept: Der Mensch als Maß aller Dinge

11Juni
2019

Städtebau und Mobilität im Einklang schaffen Lebens- und Aufenthaltsqualität für den Menschen, ein Miteinander in der Stadt und nicht ein Gegeneinander: Mathias Welle, Architekt und Diplom-Ingenieur, macht hier einen Vorschlag für eine harmonische Gestaltung Baden-Badens.

Zur Erreichung eines architektonischen Einklangs, der den Mensch in den Mittelpunkt stellt, sollte stadtplanerisch völlig neu gedacht werden. Mathias Welle: „Das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme im Sinne der Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer stellt eine nachhaltige Lösung für Menschen in Innenstädten dar. Entschleunigte Fortbewegung mit Schrittgeschwindigkeit aller Beteiligter ist der Grundstock für höchstmögliche Lebensqualität für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Senioren im urbanen öffentlichen Raum, dort, wo alle Verkehre bestehen müssen.“

Raum zum Flanieren

Um dies in unserer Stadt umzusetzen, hat der Baden-Badener, unter dessen direkter Federführung die visionär innovative Neugestaltung des Schlossplatzes in Schwetzingen bis zur Verleihung des 1. Staatspreises Baukultur Baden-Württemberg geführt wurde, einen konkreten Platz im Sinn, dessen Sanierung bald ansteht. Ebenfalls erneuert werden soll die Lichtentaler Straße, die daran vorbeiführt – was die Gestaltungsideen von Mathias Welle so brisant macht.

Keine Bebauung des Augustaplatzes

Mathias Welle: „Der Augustaplatz – als stadträumliches Bindeglied zur Altstadt – überzeugt als herrlicher großer und städtebaulich dreiseitig gefasster repräsentativer Stadtraum. Er ist in seiner Dimension und seinem Erscheinungsbild einzigartig im Baden-Badener Stadtbild. Auf der einen Seite dominiert die evangelische Stadtkirche als Raumkante, die anderen Seiten sind gekennzeichnet durch großmaßstäbliche Baukörper an den Blockrändern aus der Gründerzeit. Auf der vierten Seite schiebt sich das Grün der Parkanlage, unserer Lichtentaler Allee, angenehm in den Platz. Eine Bebauung des Platzes wäre eine städtebauliche Katastrophe, eine Zerstörung der aktuell wohltuenden Großzügigkeit dieses Platzes.“

Den Platz vergrößern, Autofahrer langsam passieren lassen

Seine Empfehlung: Der Augustaplatz sollte im Bereich der heutigen Lichtentaler Strasse vergrößert und bis zu deren Fassaden herangeführt werden. „Die Lichtentaler Straße bildet aktuell eine Barriere für Fußgänger, Radfahrer und Senioren. Die Straße sollte optisch verschwinden und Teil des neuen Platzes werden. Es sollte ein verkehrsberuhigter Bereich mit Schrittgeschwindigkeit und Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer – wie Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer etc. – vorgesehen werden, mit einheitlichem Platzbelag. Diese Gleichberechtigung und das Miteinander aller Verkehre ist dort sinnvoll, wo auch alle Verkehre benötigt werden. Und dort, wo wir nur Fußgänger haben, wie zwischen Leo und Fieser-Brücke, soll es auch selbstverständlich so bleiben.“

Erweiterung auf die Innenstadt

Mathias Welle denkt bereits weiter: Ihm schwebt eine Ausweitung dieser Gleichberechtigungsidee auf die Innenstadt mit Sophienstraße – Luisenstraße – Lichtentaler Straße – Kreutzstrasse – Bereich Café Capri bis hin zu den Kolonnaden vor. Bisher stellen diese Straßenbereiche ebenfalls eine Barriere dar, ausgenommen davon der Sophienboulevard.

Helle Farben für eine südländische Atmosphäre

„Diese Straßen – inklusive Leopoldsplatz – sollten ebenfalls städtebaulich und optisch aufgelöst und einheitlich hell gestaltet werden. Sofern diese Umgestaltung erfolgt, werden die Vorteile eines verkehrsberuhigten Gesamtbereiches mit entschleunigter Schrittgeschwindigkeit, Gleichberechtigung und Sicherheit für alle sofort spürbar werden.“ 

Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer als Maxime

Ein solches Mobilitätskonzept, im Einklang mit dem Städtebau, muss natürlich in einem stadtplanerischen Gesamtkontext entwickelt werden. Mathias Welle: „Wenn die Gestaltung der Öffentlichen Räume (gilt auch für Straßen) einheitlich hell und freundlich geschieht, ist gesichert, dass die Gleichberechtigung problemlos funktionieren wird.“

Vorteile eines solchen Gesamtkonzepte

Der Architekt fasst die Vorteile eines solchen Konzepts zusammen:

  • Alle können sich frei bewegen
  • Alle bewegen sich entschleunigt in Schrittgeschwindigkeit
  • Alle sind Partner
  • Alle bewegen sich sicher, ohne Ängste
  • Alle nehmen Rücksicht aufeinander – und agieren nicht gegeneinander
  • Alle fühlen sich wohl
  • Alle wissen, wie sie sich verhalten müssen – der Schwächere hat immer Vorrang, also Fußgänger, Kinder
  • Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Behinderte, Senioren, motorisierter Verkehr sind Partner
  • Wichtig ist die Schrittgeschwindigkeit und das „Sich-Lösen von unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ – diese bergen immer Gefahr!
  • Wohlfühlen für alle ist somit gewährleistet
  • Mobilität für alle ist gewährleistet
  • Unser Prinzip: Miteinander, nicht gegeneinander wird erfüllt.

Weitere positive Nebeneffekte sind:

  • Starke Lärmminderung des motorisierten Verkehrs
  • Minderung der Abgase des motorisierten Verkehrs
  • Totale Senioren- und Behindertenfreundlichkeit; Inklusion
  • Reduktion der Stadttemperatur von 1-2 Grad Celsius bei hellen, freundlichen Belägen

Resümee

„Eine schönere einheitliche Gestaltung all dieser Oberflächen im Hinblick auf Farbe, Struktur und Material wäre ein großer Wurf und würde unter Einbeziehung der Sophienstraße, Luisenstraße, Bertholdplatz, Augustaplatz, Kreuzstraße über den Bereich Café Capri hinweg bis hin zur Fieser-Brücke bis hin zu den Kolonnaden eine sehr wohltuende Großzügigkeit zum Flanieren der Menschen in unserer schönen Stadt schaffen. Wichtig ist hierbei ein übergreifendes Gesamtkonzept und kein zufallsgeneriertes Stückwerk.“