Wie lange hält der stationäre Handel noch durch?

11Januar
2022

Kurz vor Weihnachten war wenigstens ein bisschen Betrieb in der Innenstadt. Doch in vielen Geschäften herrscht nun gähnende Leere: Zwei, drei Kunden auf einer riesigen Verkaufsfläche – davon kann kein Geschäft leben. Das Bild im städtischen Handel ist trist, beobachtet Cornelia Mangelsdorf.

Weihnachten ist vorbei, die Geschenke sind aufgestellt, im Schrank verstaut – oder schon wieder umgetauscht. Über ein rosiges Weihnachtsgeschäft konnten sich die Baden-Badener Einzelhändler nicht freuen, die Umsatzeinbußen waren gewaltig, FOKUS Baden-Baden berichtete. Und jetzt, Anfang des Jahres, regnet es auch noch Bindfäden. Wer will da noch in die Stadt, um zu flanieren und zu shoppen? Lohnen würde es sich ja schon: Denn viele Händler locken mit Super-Sale und Preisreduzierungen von 50 Prozent. Ob es hilft?

Der Leerstand greift um sich

Nach Angaben von Insidern stehen aktuell mindestens 30 Geschäfte leer. Das sind immerhin zehn Prozent. Lebendiges Treiben in den Straßen sucht man in Baden-Baden gerade vergebens. Natürlich sind die Menschen vorsichtig in Zeiten der Pandemie – darunter leidet der Handel gewaltig.

Ein Visionär nimmt seinen Hut

Dazu kommt: Die Händler der Stadt haben einen engagierten Kämpfer verloren: Matthias Vickermann, Chef der Baden-Badener Einzelhändler-Vereinigung, hat hingeworfen. Fast neun Jahre stand er an der Spitze des BBI. Doch nun hat Vickermann, seines Zeichens Schuhmachermeister für Maßschuhe mit eigenem Geschäft und Online-Shop, Schluss gemacht mit seiner Tätigkeit, bei der sich „der Frust in den Jahren aufgestaut“ habe. Ein Nachfolger ist noch nicht gefunden. Vickermann hatte vergangenes Jahr noch die Plattform Be!Baden-Baden auf den Weg gebracht, um den Händlern ohne Internet-Präsenz ein Schaufenster zu bieten – ein wichtiger Schritt für die Verzahnung von stationärem Handel und Online-Geschäft.

Regional kaufen spart Spritkosten und Versandkartons

Klar ist: Der Baden-Badener Handel braucht Unterstützung, zuallererst von den Bürgern! Deshalb mögen die Baden-Badener doch bitte hier ihre Einkäufe tätigen und nicht die Online-Riesen noch reicher machen, als sie es eh schon sind. Den lokalen Handel unterstützen, das heißt auch: nachhaltig shoppen.

Die Umsätze fließen vor allem ins Online-Geschäft

Wenn das Statistische Bundesamt gerade „Rekordumsätze“ im Handel meldet, dann ist der Stationäre Handel davon nicht davon betroffen: Vor allem Geschäfte, die Kleidung und Schuhe verkaufen, mussten zuletzt große Einbußen hinnehmen. Man spricht von einem Minus von rund 30 Prozent. Der Internet- und Versandhandel hingegen schrieb schwarze Zahlen.

Events in der Stadt beleben den Handel

Höchste Zeit also, von Seiten der Stadt die Ärmel hochzukrempeln und Bewegung in die Innenstadt zu bringen. Warum also nicht die Fieserbrücke, die ja nun Fußgängerbereich geworden ist, dazu nutzen, um dort wöchentlich oder monatlich Weinverkostungen, Regionalmärkte oder Pop-up-Ausstellungen zu präsentieren?

Tafeln im Park

Und, wo wir schon dabei sind: Attraktive Fläche für Veranstaltungen hat Baden-Baden ja genug. Ein Highlight für mich war die lange Tafel in der Lichtentaler Allee anlässlich der Baden-Württembergischen Theatertage 2019. Das Theaterfestival machte den Stadtraum unter dem Motto „Draußen“ zum Veranstaltungsort. 2.500 Besucher nahmen an der riesigen Tafel aus 200 Bierbänken Platz. Einige brachten sogar Kerzenleuchter und Leckereien aus Küche und Keller mit, um diesen besonderen Moment zu genießen. Tafeln im Park – das hat doch was! Das könnte auch an einzelnen Tischen erfolgen, verteilt über den ganzen Park, Stichwort Abstand halten.

Jede Woche etwas Neues in der Innenstadt bieten

Frei nach dem Motto „jede Woche eine neue Welt“ gilt es also, Gäste und Bürger, Kunden und Konsumenten in die Stadt zu locken. Wenn die Stadt möglichst oft ihr Gesicht wechselt, dann wird sie auch nicht langweilig. Man will wiederkommen und gibt Geld aus.

Den Einkauf zum Erlebnis machen

Beim stationären Einkauf kann der Handel seine Vorteile voll ausspielen. Kinderbetreuung in den Geschäften, integrierte Cafés oder Leseräume können laut Deutschem Städte- und Gemeindebund und dem Handelsverband Deutschland einen echten Mehrwert bringen. Beide Vereinigungen warnen seit Jahren vor den Folgen vielerorts steigender Leerstände und einer Verödung der Innenstädte. Sie haben deshalb bereits 2016 eine „Allianz für Innenstädte“ gegründet, um den Niedergang unserer Innenstädte zu verhindern und diese als „vitale Orte der Kommunikation“ zu erhalten.

Immobilieneigentümer in der Pflicht

Die Experten beider Verbände betonen: Immobilieneigentümer haben einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Innenstädte. Sie müssen ihren Beitrag zur erfolgreichen Bewältigung des strukturellen Wandels leisten. Sie betonen: „Eine einseitige Gewinnmaximierung durch überzogene Mietforderungen ist kontraproduktiv und nutzt niemandem. Sie führen zu Leerständen und in der Folge zu einer Abwärtsspirale ganzer Straßenzüge und Quartiere.“ Im Positionspapier der Allianz für Innenstädte kann man lesen: „Getreu dem Motto ,Eigentum verpflichtet‘ (Art. 14 II Grundgesetz) sind auch die Eigentümer von Handelsimmobilien aufgerufen, eine angemessene Mietpreispolitik zu betreiben und neue Formen, wie etwa frequenzabhängige Mietenstaffelungen, umzusetzen. Dies kann gerade den inhabergeführten und stationären Einzelhandel unterstützen und im Ergebnis zu einer Stabilisierung der Innenstädte beitragen.“

Die Städte verkehrstechnisch attraktiv machen

Kostenlose Shuttle-Busse, Bus-Tickets zum kleinen Preis, für lange Shopping-Nächte und verkaufsoffene Sonntage, reduzierte Parkgebühren und mehr Standorte, um sich Fahrräder zu leihen: Auch diese Maßnahmen könnten helfen, mehr Menschen in unsere Innenstadt zu bringen, um dem Handel das wieder zu ermöglichen, was er verdient: mehr Publikumsverkehr.

Foto: Ben Becher