Halbseiden oder Heilbad: Quo vadis, Baden-Baden?

01Mai
2020

Wir sind staatlich anerkanntes Heilbad, vermerken es aber nicht auf den Ortseingangsschildern: Prof. Dr. Heinrich Liesen, Stadtrat der FBB, kann das nicht nachvollziehen. Hier nimmt er zur Sache Stellung.

„Baden-Baden erhielt – verzögert – das Zertifikat „Staatlich anerkanntes Heilbad“. Die Stadt möchte den Titel jedoch nicht auf dem Ortsschild stehen haben. Das brauche sie nicht, sie sei bekannt genug, heißt es. Es stört vielleicht auch das „good-good life“ Marketing?

Kurpatienten schickt man weiter

Es ist zwar richtig: Das Kur- und Heilbad Baden-Baden existiert praktisch nicht mehr. Ein befreundeter Arzt hat mir bestätigt: ,Da bei uns keine Kassenpatienten in die Thermalbäder der Carasana gehen können, ist die Kur seit Jahren tot. Patienten mit Kurschein kommen deshalb nicht mehr. Es werden keine Kranken mit Gehhilfe gewünscht, sondern reiche Jungmanager, die Wellness machen und viel einkaufen. Wir sind seit Jahren erfolglos, und deshalb sterben hier die Badeärzte aus.’

Die wenigen Badeärzte schicken ihre ganz wenigen Kurpatienten für Anwendungen meist in die Therme nach Bad Rotenfels. Baden-Baden bietet diese Möglichkeiten nicht mehr. Auch das über Jahrtausende bewährte Thermalwasser der Aqua Aurelia darf zur medizinischen Behandlung nicht mehr angewandt werden. Hier ist Baden-Baden stark reparaturbedürftig! Aber das steht nicht im Plan, nicht mal zur Debatte!

Halbseiden wirkt die Vision für die Kurstadt

Das Image Baden-Badens soll jetzt „good-good life“ sein. Und die Marketing-Kampagnen des „good-good life“ implizieren meiner Meinung nach ein eher halbseidenes Image. Ein Beispiel: Ein Nobelhotel, vor dessen Eingang häufig 500 PS Boliden stehen und erstaunlich viele hübsche, attraktive, sich anbietende junge Frauen an den Bars sitzen – das ist Vorbild für die neue Vision Baden-Badens des „good-good life“.

Okay, auch in diesem Bereich hatte Baden-Baden bereits in der Belle Epoque eine Geschichte, damals jedoch verbunden mit Werten der Kultur, des Kur- und Heilbades, der Sommerhauptstadt Europas: ein Ort zur Regeneration und Prävention.

Das Potenzial des Titels wird vertan

Wenn der Titel „Staatlich anerkanntes Heilbad“ jetzt totgeschwiegen, der Titel nicht als Chance zur Rückbesinnung und zur Neuorientierung genutzt wird wegen einer für sehr viele Bürger zweifelhaften „good-good life“-Kampagne, dann versündigen wir uns an den ursprünglichen Werte, die diese Stadt weltberühmt und bekannt gemacht haben.

Frische Ideen und Strategien werden gebraucht

Der altbacken klingende Begriff Heilbad sollte in unserer Zeit, die nach Prävention ruft, eine Renaissance in unserer Stadt erleben, neu genutzt werden. Um das Heilbad Baden-Baden wieder stark zu machen, sollte die gesundheitsorientierte Infrastruktur wieder aufgebaut werden. Ferner sollte im Marketing eine neue Orientierung an die Werte unseres historischen Kur- und Heilbades, die der Ursprung für den weltweiten Ruf unserer Stadt sind, stattfinden: back to the roots – mit frischen Ideen und Strategien!“

Foto: Ben Becher