„Die Stadtverwaltung sollte sich dringend Gedanken machen über ein kundenfreundliches Park- und Verkehrskonzept“

11August
2020

Der Einzelhandel der Stadt leidet – und seitens der Stadt passiert längst nicht genug, um kaufkräftige Kunden in die Stadt zu locken. Interview mit Matthias Vickermann, dem Vorsitzenden des Vereins Baden-Baden Innenstadt.

Herr Vickermann, der stationäre Handel hat aktuell massive Probleme. Welche Sorgen treiben die Einzelhändler um?

Matthias Vickermann: „Die erste Sorge ist tagesaktuell: Uns fehlen die Veranstaltungen! Der Großteil der Einzelhändler lebt vom Tourismus. Der ist durch Corona fast zum Erliegen gekommen. Die Käuferschaft, die große Umsätze bringt, fehlt. Ich freue mich für die Gastronomie, dass wieder Tagesgäste kommen – aber der Handel profitiert davon nicht besonders. Die Gäste, die Geld in die Stadt bringen, kommen meist aus dem Ausland: Russen, Schweizer, Amerikaner. Die deutschlandweiten Kunden fehlen aber auch, etwa die Hamburger, die für ein Konzert ins Festspielhaus kommen und das mit einem Einkaufswochenende verbinden. Dass viele Kongresse nicht stattfinden, schadet dem Handel ebenfalls.“

Welche Maßnahmen hat die Stadtverwaltung denn parat, damit Pleiten und hohe Verluste möglichst vermieden werden?

Matthias Vickermann: „Nun, es wäre gut, wenn die Stadt bestimmte Maßnahmen nicht ergreifen würde: etwa, in Betracht zu ziehen, die Fieser-Brücke dichtzumachen für den Autoverkehr! Das schränkt gerade Gäste, die nicht ortskundig sind, sehr ein. Für jemanden, der sich hier nicht auskennt, ist die Verkehrsführung wirklich problematisch und ein mittelgroßes Chaos. Da fehlen mir wirklich die Worte. Zweitens: Die dauerhafte Streichung von oberirdischen Parkplätzchen geht gar nicht! Andere Städte haben hier tolle Lösungen, etwa, dass man zehn Minuten kostenlos parken kann, um schnell mal in die Apotheke reinzuspringen. Gehen Sie doch mal durch die Rettigstraße – da sind wieder Parkplätze einfach verschwunden! An der Luisenstraße ist das auch der Fall. Doch diese Parkplätze sind elementar für den Handel: Denn der Kunde will schnell und einfach seine Dinge erledigen. Was hervorragend funktioniert in der Stadt, ist hingegen das Verteilen von Strafzetteln. Viele meiner Kunden sagen: Es gibt keine Stadt, wo man so viele Knöllchen bekommt wie hier. Welche Signale senden wir als Stadt an den Gast: Heißen wir ihn wirklich willkommen? Die Stadtverwaltung sollte sich dringend Gedanken machen über ein kundenfreundliches Park-Konzept. Es ist ja nicht so, dass die Stadtverwaltung nicht mit uns spricht. Doch bei wichtigen Themen, etwa Fieser-Brücke, sind wir außen vor.“

Welche Aktivitäten werden Sie durchführen, damit der Handel wieder auf die Füße kommt?

Matthias Vickermann: „Wir haben deutschlandweit Werbung gemacht: im Fernsehen und im Radio, damit wir die deutschen Touristen hierherbekommen. Andere Maßnahmen wie verkaufsoffene Sonntage müssen wir erst mal zurückstellen, so wie etwa den geplanten Termin zur Oldtimer-Ausstellung im September. Das haben wir 2019 erstmals gemacht, das lief sehr gut. Im November haben wir nochmal einen offenen Sonntag vorgesehen, zum CAB-Kunst-Event in der Stadt. Nur halten wir uns hier auch erst mal bedeckt, Corona-bedingt. Denn wir müssen jetzt aufpassen und schauen, wie voll wir die Stadt machen können. Was wir noch vorhaben: Die Weihnachtsdekoration wird ein großes Thema. Möglicherweise werden wir zum Ende des Jahres nochmal ganz stark Radiowerbung machen. Ich hoffe auch sehr, dass die Stadt von sich aus aktiv wird. Dort werden Leute extra dafür bezahlt, um sich zu überlegen, wie man die Wirtschaft wieder ankurbeln kann.“

Gibt es ein Vorbild, an dem Sie sich orientieren in Sachen Stadtmarketing?

Matthias Vickermann: „Was ich toll finde, ist die Stadt Münster. Dort gibt es noch viele inhabergeführte Geschäfte, die haben sogar ein eigenes Magazin! Auch Sylt hat viele gute Ideen: Der Ortsteil Kampen macht seine eigenen Events, etwa kleine Golfturniere. Auch unsere Nachbarstadt Bühl hat einen sehr innigen Zusammenhalt unter den Händlern. Ich will jetzt aber nicht unsere Stadt schlechtreden. Wir sind eine der tollsten Städte Deutschlands. Und ich habe gerade gesehen, dass in einige der leerstehenden Geschäfte wieder gute Läden reinkommen. Dennoch gehe ich davon aus, dass 15 bis 20 Prozent der leeren Läden nicht mehr besetzt werden können. Der Leerstand wird sich in der Lange Straße und in der Gernsbacher Straße weiter bemerkbar machen. Das Geschäftsleben wird sich in Richtung Leo verdichten.“

Was hilft dem Handel am ehesten: ein volles Festspielhaus? Open-Air-Feste? Eine tolle Ausstellung?

Matthias Vickermann: „Am wichtigsten sind die Kongresse und das Festspielhaus.“

Der Unternehmer Franz Bernhard Wagener befürchtet, bis zum Ende des Jahres könnten, Corona-bedingt, 30 Prozent der Läden dichtmachen. Was ist Ihre Prognose?

Matthias Vickermann: „Das glaube ich nicht. Ich tippe auf zehn Prozent, von denen fünf dann wieder neu erschlossen werden. Ich rechne damit, dass wir durch Corona effektiv fünf Prozent mehr Leerstand haben werden als vorher.“

Wie ist die Stimmung unter den Einzelhändlern?

Matthias Vickermann: „Verhalten. Jeder geht seinem Job nach und macht ein bisschen Umsatz. Die Laune ist nicht so, dass die Leute hurra schreien. Viele haben Angst vor der zweiten Corona-Welle. Gerade Geschäfte im Hochpreis-Segment haben jetzt ein Riesenthema: Mit der Maske ein teures Seidenkleid zu probieren und zu verkaufen, ist schon schwierig. Ein weiteres Problem: Tagtäglich haben wir zusätzlich Konkurrenz durch den Online-Handel.“

Ein großes Problem für Händler sind die hohen Mieten. Wie könnte man hier Abhilfe schaffen?

Matthias Vickermann: „Die Stadt besitzt ja selbst Gewerbe-Immobilien in der Innenstadt. Da müssen schicke Geschäfte rein! Diese Läden sollten ausschließlich an Einzelhändler vermietet werden – und nicht an Filialisten! In der Schweiz werden solche Räumlichkeiten vergünstigt vermietet, um die inhabergeführten Geschäfte zu unterstützen. Und wenn die Stadt mit den Mieten runtergeht in den tollen Lagen, werden die privaten Vermieter auch nachgeben müssen.“

Foto: FBB-Archiv