Das große Laden-Sterben hat erst begonnen

13November
2020

Interview mit einem, der es wissen muss: Matthias Vickermann ist Unternehmer, Ladenbesitzer und zugleich Vorsitzender des Einzelhändler-Vereins der Baden-Badener Innenstadt.

Herr Vickermann, wie ist die Lage der Einzelhändler? Man sieht immr mehr Leerstand. Geht unsere Innenstadt kaputt?

Matthias Vickermann: „Offizielle Zahlen gibt es nicht, aber das BT hat gezählt, dass es in der Innenstadt rund 30 Leerstände gibt; darunter Immobilien, die bereits seit zwei, drei Jahren leer sind. Ich habe von zwei, drei weiteren Geschäften gehört, die zumachen werden. Der Leerstand ist jetzt deutlich zu sehen – und tendenziell werden noch mehr Geschäfte aufgeben.“

Was ist das für ein Signal?

Matthias Vickermann: „Das ist ein Trauerspiel. Ich bin neulich abends nach der Arbeit durch die Straßen gegangen und dachte: Man ist hier in einer wunderbaren, tollen Stadt. Doch alle Stühle der Restaurants, die draußen standen, stapeln sich drinnen, im Brenners brennt kein Licht. Die Geschäfte sind zwar auf, aber leer. Es kommen keine Touristen, keine Kunden. Das hat gerade etwas ganz Trauriges. Und da gibt es auch keine schnelle Lösung. Wir müssen uns jetzt am Riemen reißen und hoffen, dass die Zahlen der Corona-Infizierten runtergehen. Doch jetzt gehen wir erst einmal in die kalte Saison hinein.“

Wie hoch sind die Verluste? Kann man das beziffern?

Matthias Vickermann: „Keiner sagt es ganz genau. Doch die Verluste im Handel liegen etwa bei 40 bis 50 Prozent. Je nach Branche und Situation weiß man aber nicht: Wie war das im Sommer? Da wurden ja schon Umsätze gefahren. Ich schaue mir täglich meine Zahlen an, ich weiß aber nicht, wie andere das handhaben.“

Greifen die Hilfen von der Regierung?

Matthias Vickermann: „Aktuell gibt es für den Handel ja keine speziellen Hilfen, bis auf das Überbrückungsgeld 2. Das Überbrückungsgeld 1 vom Frühjahr hat bei den meisten Händlern gerade mal einen Monat geholfen. Doch da gibt es einen ganzen Rattenschwanz hintendran. Wenn kein Umsatz gemacht wird, müssen Mitarbeiter in Kurzarbeit. Wenn jemand eh nicht viel verdient und dann 40 Prozent weniger verdient...das ist hart. Wie soll man davon leben?“

Was kann man tun? Welche Maßnahmen können helfen?

Matthias Vickermann: „Das Allerwichtigste ist, dass wir alle helfen, aus dem Lockdown rauszukommen, dass wir eine Lockerung hinbekommen. Dann müssen wir gucken, dass wir im Dezember die Werbetrommel hochfahren. Baden-Baden muss weihnachtlich in Erscheinung treten, sich herausputzen: damit wir die Menschen, die Shoppinglaune haben, nach Baden-Baden bekommen und ein attraktives Weihnachtsgeschäft erleben werden. “

Sie sind an einem Start-up in Hannover beteiligt, das Maßschuhe industriell herstellt. Und die werden dann übers Internet vertrieben ab Februar oder März 2021. Weiterhin haben Sie 2019 shoedoc.de gegründet und bieten darüber Reparaturen an. Der Weg ins Internet ist ein Erfolgsfaktor. Wie offen sind die Baden-Badener Einzelhändler hier?

Matthias Vickermann: „Ein paar nutzen solche Möglichkeiten schon. Es geht bei der Digitalisierung aber nicht nur darum, dass ich verkaufe, sondern dass ich sichtbar bin und auf mich aufmerksam mache. Dafür kann ich auch Social-Media-Kanäle nutzen oder eine tolle Website präsentieren. Dann bin ich natürlich breiter aufgestellt mit meinem Geschäftsmodell. Geschäfte in Baden-Baden mit einem Online-Shop gibt es bislang leider nicht so viele. Doch diese Chance sollte man nutzen."

Welche Events können helfen, den Handel wieder zu beleben?

Matthias Vickermann: „Es muss alles wieder hochfahren. Wenn das Festspielhaus wieder aufmacht, befüllt es die Stadt mit vielen zahlungskräftigen Kunden. Wenn die Kultur wieder ihre Bühnen bespielen, das New-Pop-Festival stattfinden darf, wir wieder unsere verkaufsoffenen Sonntage machen dürfen und vielleicht ein Late-Night-Shopping, dann bekommen wir jedes Wochenende 20.000 bis 30.000 Menschen in die Stadt. Allein ins Casino kommen jährlich über 200.000 Besucher. Das fehlt alles! Wir wissen: Die meisten Käufe sind Frequenzkäufe, die nicht geplant sind. Diese Käufe braucht die Stadt. Neue Ideen sind flott umsetzbar, da reichen schon sechs, acht Wochen Vorlauf. Aber jetzt müssen wir erst einmal durch die kalte Jahreszeit kommen.“