Mehr als 500 Anwohner laufen Sturm – schon wieder Gewerbeprojekt statt Wohnungen: Die Bürgerinitiative Oosscheuern mischt sich ein

06Dezember
2018

Eine Planung, die am Bürger vorbeigeht: Das Aumatt-Projekt macht den Anwohnern Sorgen. In Oosscheuern soll ein sechsgeschossiges Gebäude mit einer Höhe von fast 25 Metern und mehrere viergeschossige Häuser errichtet werden. Gerold Lohmüller und Joachim Velten wollen das nicht hinnehmen.

13.000 Quadratmeter Bürofläche sollen in Ihrer Nachbarschaft entstehen. Sie wollen das nicht hinnehmen. Warum?

Gerold Lohmüller: „Weil eine Gewerbefläche dieser Größe auf der kleinen Grundstücksgröße überdimensioniert ist und in keiner Weise in den Gebietscharakter der Aumattstraße passt.“

Joachim Velten: „Weil die vorgesehene Bebauung völlig dem bestehenden Flächennutzungsplan widerspricht, der ein Mischgebiet vorsieht: Das bedeutet Wohnen neben Gewerbe.“

Was schreckt die Anwohner am meisten?

Gerold Lohmüller: „Zum einen die ungelöste Verkehrssituation sowie die Vorstellung, dass durch die Büroarbeitsplätze und Besucher eine wilde Parksituation und Verkehrschaos entsteht. Zum anderen: Die vorgesehenen Gebäudehöhen nehmen den bestehenden Wohnhäusern Licht, Sonne und Luft weg, führen so zu einer Wertminderung des Gebiets und einer schlechteren Wohnqualität.“

Joachim Velten: „Die geplanten Gebäudehöhen sind exorbitant, in ganz Baden-Baden beispiellos, sie sprengen den vorliegenden Gebietscharakter. Hier muss zum Wohl der ansässigen Bevölkerung eingegriffen werden.“

Rechnet die Stadt denn richtig in Bezug auf die Verkehrsbelastung? Anders gefragt: Welche Rechnung machen Sie auf?

Gerold Lohmüller: „Der Investor muss nur 103 Stellplätze nachweisen. Das Verkehrsgutachten hat aber errechnet, dass durch das Dienstleistungszentrum 720 zusätzliche KFZ-Bewegungen entstehen werden. Deshalb muss man davon ausgehen, dass Anwohner keine Parkmöglichkeiten mehr finden, weil alles zugeparkt ist. Neben den Anwohnern werden auch die Vereine am Aumattstadion diese Fehlplanung zu spüren bekommen.“

Joachim Velten: „Das Verkehrsgutachten spricht von einer Verkehrszunahme durch das Dienstleistungszentrum auf der B 500 von 1,4 Prozent. Dieser Wert bezieht sich auf das Verkehrsaufkommen während 24 Stunden. Es wird vollkommen ignoriert, dass die zusätzliche Belastung zu den Hauptverkehrszeiten zwischen 7 und 9 Uhr sowie zwischen 16 und 18 Uhr auftritt. Wir von der Bürgerinitiative haben die Verkehrszunahme eigenständig, basierend auf den Zahlen des Verkehrsgutachtens, berechnet: Nach unseren Berechnungen würde der Verkehr in der Jagdhausstraße/ Aumattstraße um 40 bis 50 Prozent steigen. Ungeklärt sind auch die Wechselwirkungen mit dem Verfassungsplatz und die zusätzliche Belastung durch den zwangsläufigen Parkplatzsuchverkehr in der Sackgasse Aumattstraße.“

Hat man mit den Anwohnern seitens der Stadt im Vorfeld über das Projekt gesprochen?

Gerold Lohmüller: „Es gab 2014/15 eine Bauanfrage für ein siebenstöckiges Hochhaus, die aber nicht öffentlich kommuniziert wurde und die so nicht nach § 34 des Baugesetzbuchs genehmigungsfähig war. Dann hat man einen Architektenwettbewerb ausgelobt, bei dem es hauptsächlich um gewerbliche Nutzung geht, was wir vehement ablehnen. In unserer Unterschriftenaktion unterstützen mehr als 500 Anwohner diese Sichtweise.“

Joachim Velten: „Das dabei entstandene Siegermodell wurde mehrfach öffentlich präsentiert. Als Reaktion auf die sofortige Empörung der Bürger hat der 1. Bürgermeister Uhlig mehrere öffentliche Gesprächstermine angesetzt. Zu diesem Zeitpunkt konnte oder wollte die Stadt aber noch keine konkreten Angaben über Gebäudehöhen, Maß der Bebauung oder auch nur über die Art des Bebauungsplans machen. Diese für eine Diskussion notwendigen Fakten haben wir mit der Veröffentlichung der Beschlussvorlage, also erst vor wenigen Tagen, erhalten.“

Sind Sie grundsätzlich gegen das Projekt oder würden Sie es nur anders planen? Wenn ja, wie?

Gerold Lohmüller: „Wir begrüßen eine geordnete Entwicklung von Oosscheuern. Das dazu notwendige Verfahren muss jedoch die Bürger viel stärker mit ins Boot nehmen. Eine rein gewerbliche Nutzung dient vorwiegend Investoreninteressen und ist eine unnötige Vernichtung potenzieller Wohnbaufläche. Baden-Baden braucht jedoch bezahlbaren Wohnraum, zum Beispiel auch für ältere Bewohner mit ebenen und kurzen Wegen zum Zentrum und in die Weststadt, sehr gut angebunden an den ÖVNP. Eine Seniorenresidenz oder Mehrgenerationenhaus würde sich hier zum Beispiel anbieten.“

Wann soll nach heutigem Stand der Bau losgehen und wie lang soll er dauern?

Joachim Velten: „Darüber liegen uns keine Informationen vor. Wir gehen aber davon aus, dass ein Bauantrag für das erste Gebäude unmittelbar nach Inkrafttreten des Bebauungsplans gestellt werden wird. Die Stadt hat hier keinerlei Handhabe mehr. Sie überlässt die Entwicklung den privaten Investoren.“

Werden nicht auch geschützte Tierarten empfindlich durch den Bau gestört?

 

Gerold Lohmüller: „Es ist einer der wenigen Uferabschnitte im Stadtgebiet an der Oos, wo Vögel, insbesondere auch Bodenbrüter, ideale Lebensbedingungen finden und ungestört brüten können. Im Sommer wurden Braunkelchen vom Gutachter gesichtet, die in Baden-Württemberg auf der Roten Liste der bedrohten Arten stehen. Außerdem wurden Zwergfledermäuse dort bestätigt. Die Stadt hat ein Gutachten erstellen lassen. Die notwendigen Schutzmaßnahmen für die hier lebenden Tiere sind der Stadt bekannt.“

Sie durften für Ihre Unterschriftensammlung nicht auf den Markt vor der Bernharduskirche. Wer hat das verboten?

Joachim Velten: „Wir hatten eine entsprechende Anfrage auf Genehmigung an die Stadt Baden-Baden gestellt und eine Absage erhalten. Begründung: Bei Wahlen können Parteien auf dem Marktgelände Wahlkampf machen, das sei eine Ausnahme. Für Bürgerinitiativen gibt es keine Genehmigung seitens der Stadt.“

Wie haben Sie sich dann beholfen?

Gerold Lohmüller: „Wir wollten die Unterschriftenaktion in der Nähe durchführen, um auch möglichst viele betroffene Anwohner zu erreichen. Freundlicherweise hat uns Pfarrer Michael Teipel den Platz im Eingangsbereich der Bernharduskirche zur Verfügung gestellt.“

Was sind Ihre Forderungen an die Stadt?

Joachim Velten:Bürgerbeteiligung und -befragung vor Planungsausschreibung. Und: Das im Flächennutzungsplan als Mischgebiet ausgewiesene Gebiet als solches zu belassen und nicht in ein eingeschränktes Gewerbegebiet umzuwandeln. Oosscheuren entwickelte sich, historisch belegbar, in den vergangenen Jahrzenten weg von Gewerbe, hin zu einem Wohngebiet. Der vorgelegte Bebauungsplan ist eine 180-Grad-Kehrtwendung und eine grundlegende Änderung des Gebietscharakters. Eine Veränderung kann aber nur im öffentlichen Interesse und nicht allein im Interesse des Investors durchgeführt werden. Die für das Projekt postulierte Nähe von Wohnen und Gewerbe ist nur in einem Mischgebiet möglich.“

Gerold Lohmüller: „Wir fordern, die Gebäudehöhen an die aktuelle Bestandsbebauung anzupassen. Die planbaren Dimensionen von Gebäuden in einem Mischgebiet sind durch das Baugesetzbuch und Baunutzungsverordnung deutlich limitiert und würden sich damit zwangsläufig harmonischer in die Umgebung einfügen. Wichtig ist auch ein ungehinderter Zugang für Feuerwehr, Rettungsdienste und Polizei in den Stadtteil Oosscheuern. Bei einem Baubeginn vor Umbau des Ebertplatzes wäre dieser deutlich eingeschränkt. Noch etwas: Im Architekturwettbewerb wurde über eine sehr viel größere Fläche geplant und ein Siegerprojekt ausgelobt. Um ein beschleunigtes Verfahren durchzuführen, hat die Stadt das Plangebiet in drei Teile gesplittet. Wir fordern deshalb die Stadt auf, kein beschleunigtes Verfahren nach § 13a Baugesetzbuch durchzuführen um damit die Umweltprüfung für das gesamte Planungsgebiet zu umgehen und scheibchenweise durchzuführen.“

Wie sollte die Verkehrsanbindung aussehen, damit die Anwohner Ruhe haben?

Joachim Velten:Eine tragfähige Verkehrslösung muss vor Baubeginn realisiert sein. Das Verkehrsgutachten vom Ingenieurbüro Koehler und Leutwein hat die aktuell schlechte Verkehrsanbindung von Oosscheuern bestätigt. Die vorgeschlagenen Änderungen erfordern eine Einschränkung des ÖVNP, die Optimierung der Ampelanlage, einen Umbau des Ebertplatzes, der Jagdhausstraße und der Rad- und Fußgängerwege.“

Foto: FBB