„Die Genügsamkeit, die viele jetzt unfreiwillig selbst leben, sollte jeder auch in Zukunft anstreben“

14April
2020

Wie kommen Menschen in Baden-Baden mit der aktuellen Corona-Lage zurecht? Was gibt ihnen zu denken? Interview mit Leonie Jacobs: Die 18-jährige Baden-Badenerin studiert in Linz Schauspiel und übt, dank E-Learning, fleißig von hier aus.

Frau Jacobs, wie empfinden Sie die aktuelle Corona-Krise?

Leonie Jacobs: „Ich habe das Gefühl, dass in dieser Situation zwei Welten existieren: In der einen üben sich Menschen in Genügsamkeit, verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern. In der anderen zweifeln Menschen am Fortbestand ihres Geschäfts, wissen nicht, ob sie ihre Lieben im Altersheim je wiedersehen, kämpfen um ihr eigenes Leben. Millionen Menschen versuchen mit aller Kraft, das System zusammenzuhalten: Pflegepersonal, Supermarktangestellte, städtische Arbeiter, freiwillige Helfer. Alle, die am Erhalt unserer Gesellschaft mitarbeiten, haben in dieser schwierigen Zeit meinen vollsten Respekt und meine tiefste Dankbarkeit.“
 
Sie studieren in Linz Schauspiel. Wie läuft das jetzt?

Leonie Jacobs: „Es geht online weiter, disctance learning heißt es bei uns an der Uni. Über Videokonferenzen versuchen wir in einigen Fächern, trotz der Situation effektiv zu arbeiten. Normalerweise sieht mein Studienalltag ganz anders aus: Jeden Tag um 8 Uhr geht es los mit Yoga, dann folgen z.B. Schauspielunterricht in der Gruppe, Bewegung, Sprechen in der Gruppe und als Einzelunterricht, Gesang oder Improvisation. Also alles praktische Fächer, bei denen es darauf ankommt, miteinander zu spielen, sich gemeinsam in einem Raum zu bewegen, der größer ist als die paar Quadratmeter, die mir zuhause zur Verfügung stehen. Bei den theoretischen Fächern wie Dramaturgie ist das e-Learning kein Problem, aber für den Großteil der Lehrveranstaltungen müssen wir uns überlegen, wie und woran wir überhaupt arbeiten können.“
 
Fecht-Unterricht auf die Ferne geht ja eher schlecht.

Leonie Jacobs: „Tja, Fechten kann ich momentan nur mit dem Brotmesser und widerspenstigen Verpackungen als Gegner. Doch von unserer Yoga-Lehrerin haben wir eine Liste mit verschiedenen Übungen und gezeichneten Erklär-Bildern bekommen. Die Routine leidet aber schon darunter, wenn man auf sich gestellt ist. Deswegen haben wir im Bewegungsunterricht ausgemacht, dass jeden Tag von einem von uns ein Lied herumgeschickt wird, zu dem wir uns um 21 Uhr alle gleichzeitig und jeder auf seine Weise bewegen. So wissen wir, dass wir dabei nicht alleine sind. Ich empfinde die Gemeinschaft unter uns Kommiliton*innen als sehr stark und als etwas ganz Besonderes. Es ist schön, dass dieses Gefühl durch solche Aktionen auch jetzt erhalten bleibt.“
 
 Kommen Sie und Ihre Familie gut mit der Situation zurecht?

Leonie Jacobs: „Ja, es geht uns gut und ich genieße es, dass ich jetzt in Baden-Baden bei meiner Familie sein kann. Ich finde es wichtig, sich an die Auflagen zu halten, das ist momentan der einzig vernünftige Weg. Die Grundversorgung ist gewährleistet, der Wald lädt zum Spazieren ein und durchs Studium habe ich genug Beschäftigung, deswegen komme ich momentan ganz gut zurecht und bin sehr dankbar, nicht unter existenziellen Schwierigkeiten leiden zu müssen.“
 
Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn die Krise ausgestanden ist? Was werden Sie als erstes tun?

Leonie Jacobs: „Als allererstes vielleicht ein Eis essen gehen und dann meine Großeltern in Nordrhein-Westfalen besuchen.“
 
Was, glauben Sie, können wir aus der Corona-Krise lernen?

Leonie Jacobs: „Wir müssen lernen, mit unserem Planeten achtsam umzugehen und erkennen, dass und wodurch sich die Umwelt gerade erholt. Dieser Fortschritt darf auf keinen Fall wieder verloren gehen. Die Genügsamkeit, die viele jetzt unfreiwillig selbst leben, ist etwas, das meiner Meinung nach jeder auch in Zukunft anstreben sollte. Außerdem hoffe ich auf eine bessere finanzielle Absicherung für Selbstständige und freischaffende Künstler. Die Kunst hat zwar große Ausdruckstärke und eine unglaubliche Kraft, aber ist doch filigran und verletzlich, denn sie ist abhängig von der Gunst des Publikums. Theater gibt es seit mehr als 2500 Jahren und es wird in Zukunft nur existieren können, wenn es genug Zuschauer gibt. Ich hoffe sehr, dass die Theater nach der Krise wieder ihre Türen öffnen können.“

Foto: FBB-Archiv