Mitten in der Kurstadt

03August
2017

Es geschah in Baden-Baden. Mitten in Baden-Baden am Goetheplatz, das heißt dort, wo unser Theater steht.

Ein Hotelgast (die Polizei sollte später von einem „verwirrten“ Hotelgast sprechen) wollte sich umbringen. Und er verlor (Gott sei Dank!) den Mut dazu. Das passiert gelegentlich, auch in unserer Stadt. Menschen sind verwirrt oder verzweifelt. Das aber war nicht alles an diesem Tag:

Es hatten sich um die 50 „Schaulustige“ (so nennt die zu Hilfe gerufene Polizei Gaffer) angesammelt, die das Geschehen und die Rettung offensichtlich genossen. Nicht genug damit: sie filmten es mit ihren Handys. So etwas geschieht ja auch bei Verkehrsunfällen auf der Autobahn, was diese Filmerei mit den allzeit bereiten Handys nicht weniger widerlich macht. Es ist nichts als Sensationsgier. Diesmal in Baden-Baden auf dem Goetheplatz reichte das immer noch nicht: die Filmenden wollten Blut sehen und ermunterten den unglücklichen Mann, doch bitte schön zu springen. Mehrfach. Schließlich ist ein Filmchen von einem Selbstmord doch nicht perfekt ohne den „Platsch“ am Schluss.

Die Polizei konnte den Mann retten und lieferte ihn in eine Klinik ein, wo er behandelt werden konnte. Die Retter waren über die Reaktionen (und die Aufforderung an den Mann, doch bitte schön zu springen) mehr als empört. Es sei eine Schwelle überschritten worden, heißt es in der Polizeimeldung. Die Meldung über diesen Baden-Badener Skandal schaffte es auch in die überörtliche Presse, beispielsweise in die Süddeutsche Zeitung, die unter der Schlagzeile „Erschreckendes Verhalten“ darüber berichtete.

Stadtrat Prof. Dr. med. Heinrich Liesen (für die Freien Bürger für Baden-Baden) hat deswegen einen Brief an die Oberbürgermeisterin geschrieben. Er lautet:

Sehr geehrte, liebe Frau Mergen,

mit Schrecken habe ich heute von den Ereignissen rund um den Suizidversuch am Goetheplatz  (in der regionalen Presse und in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel „Erschreckendes Verhalten: In Baden-Baden fordern mehrere mit Smartphone filmende Menschen einen Mann zum Suizid auf“) gelesen. Ich habe mich für Baden-Baden und einen, glücklicherweise noch kleinen Teil seiner Bewohner zutiefst geschämt!

Liebe Frau Mergen, ich bitte Sie in Ihrer Funktion als OB sich in einem offenen Brief an die Bewohner Baden-Badens zu richten, der morgen bei goodnews4, im BT und BNN auf der ersten Seite des Lokalteils veröffentlicht wird. Die Stadt sollte sich vehement und engagiert gegen die Verrohung und moralische Dekadenz wehren und Flagge zeigen.

Mit freundlichen Grüßen 

Ihr 

Heinrich Liesen

Bis jetzt ist dieser Brief nicht beantwortet. Eine Reaktion der Oberbürgermeisterin erfolgte bis gestern Abend nicht.

Foto: Ben Becher