„Die öffentliche Sicherheit muss an erster Stelle stehen“

15Oktober
2021

Vergangenen Samstag wurde ein älterer Herr in der Kongresshausgarage überfallen. Er verstarb anschließend auf dem Augustaplatz. Martin Ernst, Chef der FBB, macht sich seit Jahren dafür stark, diesen Brennpunkt sicherer zu machen. Doch bei der Stadt stieß er bislang auf taube Ohren

Die Darstellung unserer Stadt als sicherer Ort ist Gold wert: Sicherheit ist ein hohes Gut, es zieht Touristen an, denn Idylle lässt sich gut vermarkten. Dass es mit ihr nicht weit her ist, zeigen die Geschehnisse vom vergangenen Samstag: Ein älterer Herr wurde in der Tiefgarage beraubt. Was dieser Tat vorausging an Bedrohungen, ist noch nicht bekannt. Das Opfer konnte noch aus der Tiefgarage ausfahren, seinen Wagen abstellen und sich hilfesuchend an einen Busfahrer wenden. Dann brach der ältere Herr zusammen und verstarb an Ort und Stelle.

Martin Ernst macht schon lange auf das Sicherheitsproblem aufmerksam

Einen Vorfall solcher Dramatik hat man in Baden-Baden wohl noch nicht gesehen. Er lässt Fragen nach einem Sicherheitskonzept laut werden. Kritik an der Sicherheitslage am Augustaplatz wurde auch in der Gemeinderatssitzung am vergangenen Montag thematisiert: von Martin Ernst, Fraktionschef der FBB. Dieser sprach Bürgermeister Roland Kaiser auf den Vorfall an und betonte, dass er schon öfter auf die Situation am Augustaplatz aufmerksam gemacht habe. Martin Ernst, Chef von „Immobilien Regional“, hat sein Büro genau gegenüber und sieht jeden Tag, was sich auf dem Platz abspielt. Jeder weiß: Dieser Platz ist kein Aushängeschild für die Stadt, im Gegenteil: In die Eingänge des Parkhauses wird oft uriniert, man fühlt sich mitten in der Stadt eher wie auf einem Busbahnhof denn einem Stadtmittelpunkt.

Er hat das Problem mehrfach benannt

Der erste Mann der FBB hat schon vor vielen Jahren angefangen, die Stadt mit dieser Lage zu konfrontieren: „Ich habe ein Treffen initiiert mit Anwohnern und dem zuständigen Bürgermeister Roland Kaiser und seinem früheren Fachgebietsleiter Maximilian Lipp. Die Anwohner haben sich ihre Beschwerden von der Seele geredet, man traf sich Monate später wieder, passiert ist generell nichts. Ich habe das Gefühl, dass auch die Behörde hilflos ist. Die Polizei verweist auf die städtischen Behörden und diese wieder auf die Polizei, so schiebt man sich den schwarzen Peter gegenseitig zu und verwaltet somit die Innenstadt systematisch zu Tode. Viele ältere Damen erzählen mir, dass sie ab 19 Uhr nicht mehr über den Augustaplatz laufen, sie fühlen sich nicht mehr sicher.“

Zu wenig Polizeipräsenz?

Und er betont, die Bürger glaubten schon nicht mehr daran, dass die Polizei kommt, wenn sie sie rufen. Schuld daran sei die Polizeireform. Bei der Gemeinderatssitzung nahm Martin Ernst Roland Kaiser als Verantwortlichen in die Pflicht, für die öffentliche Ordnung zu sorgen. Widerspruch kam von OB Margret Mergen, die den Stadtrat zur Mäßigung aufforderte. Roland Kaiser betonte, die Staatsanwaltschaft werde bald Informationen freigeben. Ob es einen Zusammenhang zwischen dem Raub und dem Tod gebe, würde die Polizei ermitteln. Aktuell wird nach einem Verdächtigen gefahndet.

Die Zustände am Augustaplatz verschlechtern sich

Martin Ernst betont: „Ich stelle von Jahr zu Jahr fest, dass sich die Zustände um den Augustaplatz permanent verschlechtern. Wir haben unser Kongresshaus an diesem Platz in den letzten Jahren für einen zweistelligen Millionenbetrag saniert und lassen unsere Kongressgäste von volltrunkenen Leuten empfangen. Diese Personen pöbeln unsere Gäste an, ihre Hinterlassenschaften platzieren sie in die Hecken um den Augustaplatz und in den Hauseingängen.“

Die Anwohner haben resigniert

Er kennt eine Reihe der Anwohner persönlich. Was hört er von ihnen? „Diese sind teilweise bereits apathisch und glauben schon lange nicht mehr, dass die öffentliche Ordnung noch funktioniert. Wenn Anwohner die Polizei rufen, dauert es meist eine Stunde oder länger, bis diese eintrifft. Dann ist der Vorgang oft schon nicht mehr nachprüf- bzw. nachvollziehbar. Ich sage es auch hier, weil ich es tagtäglich erlebe: Das Rathaus verwaltet nur noch die öffentliche Unordnung. Dazu gehörte über Monate auch ein Obdachlosenlager unter dem Baum vor dem Kurhaus. Auch die Abfalleimer am Augustaplatz sind oft überfüllt. Der Turnus ist bei der Leerung zu kurz getaktet. Die Anwohner können insbesondere in den Sommermonaten nachts nicht mehr schlafen, weil das Gegröle und der Lärm ab 22 Uhr die Leute in der Innenstadt nicht mehr schlafen lassen.“

Schlechteste Polizeidichte in Baden-Württemberg

Auch wenn Martin Ernst von OB Mergen schnell abgefertigt wurde – so spricht er doch einen heiklen Punkt an: Baden-Württemberg ist seit vielen Jahren das Bundesland mit der schlechtesten Polizeidichte. Dies hat Hans-Jürgen Kirstein, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Baden-Württemberg, bestätigt. Die Polizei im Südwesten stehe unter einem enormen Belastungsdruck, daran habe auch die Reform 2020 der Polizeireform von 2014 samt Einstellungsoffensive nichts geändert. All das reiche nicht. „Eine echte schnelle Abhilfe wäre nur möglich, wenn intensiv darüber nachgedacht würde, ob es bei bestimmten Aufgabenfeldern möglich wäre, diese auf andere Behörden zu übertragen. Zum Beispiel könnten die Kommunen ihre kommunalen Ordnungsdienste stärken und denen polizeirechtliche Aufgaben übertragen.“ Diese Entscheidung kann freilich keine Kommune selbst treffen – wohl aber das Land. Und an das Land kann man herantreten. Martin Ernst: „Man hat den guten alten Polizisten, der sein Quartier und seine Pappenheimer kannte, abgeschafft. Aus meiner Sicht ist zwingend eine konzertierte Aktion aus Polizei, Stadtverwaltung und den Bürgern notwendig, die zeitnah die öffentliche Ordnung wiederherstellen.“

Die Maßnahmen der Stadt: ausreichend?

Die Stadtverantwortlichen sehen nun vor, erst einmal mit den Anwohnern des Augustaplatzes und der Polizei zu sprechen – um, wie es heißt, Maßnahmen abzustimmen. Längst hat sich der Augustaplatz zu einem Brennpunkt entwickelt. OB Mergen stellte in Aussicht, dass Streetworker und technische Überwachung den Platz zunehmend sicherer machen sollen. Ob das reicht?

Einer Kurstadt nicht würdig

Martin Ernst glaubt es nicht: „Einen Streetworker, der wenige Male in der Woche über den Platz läuft, löst das Problem nicht. Zwingend notwendig ist auch die komplette Videoüberwachung des Augustaplatzes, zwingend mit Sanktionen bei Verstößen. Dies gilt z.B. auch für die auf Busse wartenden Schüler, die Ihre Essensreste und Kaugummis einfach fallen lassen.“

Und er betont noch einmal: „Die öffentliche Sicherheit muss an erster Stelle stehen, dicht gefolgt von der tadellosen Pflege von Parks, Straßen und Gehwegen. Der gesamte Zustand um den Augustaplatz ist einer Kurstadt in keinster Weise mehr würdig. Es ist zu einfach, das Wegfallen von Kongressen ausschließlich auf die Pandemie zu schieben. Hier sind alle gefordert: Polizei, Stadtverwaltung und Gemeinderat.“

Fotos: Ben Becher