„Die Lagerfelds waren angenehme Nachbarn“

02April
2021

Wussten Sie, dass der große Modeschöpfer Karl Lagerfeld, der vor gut zwei Jahren verstarb, regelmäßig nach Baden-Baden kam? Dr. Alfons Kaiser belegt dies in seiner wunderbaren Biographie „Karl Lagerfeld. Ein Deutscher in Paris“, erschienen im C.H. Beck-Verlag. Cornelia Mangelsdorf sprach mit dem Autor.

Dr. Alfons Kaiser arbeitet als Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ist dort verantwortlich für das Ressort „Deutschland und die Welt“ sowie für das Frankfurter Allgemeine Magazin. Mit Karl Lagerfeld hat er eine Gemeinsamkeit: Beide wuchsen sie auf dem Land auf. Kaiser ist ein Bauernsohn. Und das Lieblingstier des Modezars waren Kühe.

Herr Kaiser, wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch über „Kaiser Karl“ zu verfassen?

Alfons Kaiser: „Kurz nach seinem Tod vor gut zwei Jahren rief mich eine Lektorin an und fragte mich, ob ich nicht Interesse hätte, eine Biografie über Karl Lagerfeld zu schreiben. Der Zeitpunkt war günstig, denn ich hatte schon viele Interviews mit ihm geführt. Und nach seinem Tod konnten nun auch seine Bekannten offen reden. Das war zu seinen Lebzeiten nicht immer der Fall. Ich hatte nur 13,14 Monate Zeit zum Schreiben, habe sofort losgelegt, alle verfügbaren Interviews und Bücher gelesen und über 100 Personen befragt, die mit Karl Lagerfeld zu tun hatten; so etwa mit Models, die in den 1970-er Jahren aktiv waren. Ich versuchte, viele seiner Weggefährten zu treffen und schaute mir Interviews mit ihm im deutschen Fernsehen an. Er war ja sehr oft in Talkshows. Es war ein spannendes Projekt.“

Karl Lagerfeld war ein sehr erfolgreicher Deutscher in Paris. Wie haben die Deutschen ihn gesehen?

Alfons Kaiser: „Die Deutschen haben ihn oft als Plauderer wahrgenommen, eben weil er oft in Talkshows war. Aber das war für ihn Teil seiner Marketing-Strategie. Doch er war vor allem ein unglaublich fleißiger Arbeiter, der von 7 bis 24 Uhr an seiner Vision gearbeitet hat. So schnell wie Karl Lagerfeld geredet hat, so schnell hat er auch gearbeitet und Verbindungen zu Menschen aufgenommen.“

Nun gibt es eine Passage, wie Lagerfeld nach Baden-Baden kommt, um dort seine Eltern zu besuchen. Haben Sie Kenntnisse darüber, wie Herr Lagerfeld zu der Kurstadt stand?

Alfons Kaiser: „Ich habe mit einem alten Freund von ihm gesprochen, Peter Bermbach. Dieser hat immer Briefe bekommen, wenn Karl Lagerfeld in Baden-Baden war. Bermbach hat mir versichert, dass Lagerfeld oft geklagt habe, wie langweilig es dort sei. Karl Lagerfeld ist oft dorthin gefahren, wenn in Paris nichts los war, etwa in den Sommermonaten. Vielleicht bezog sich die Langeweile ja mehr auf den Vater, als auf die Stadt. Denn die beiden hatten ein problematisches Verhältnis. Wenn Karl zu Besuch war, konnte der Vater ihn richtig nerven. Das hat das Verhältnis überschattet.“

Wie kam es dazu, dass die Lagerfelds in die Kurstadt zogen?

Alfons Kaiser: „Die Eltern waren im Ruhestand des Vaters nach Baden-Baden gezogen – eine schöne Stadt, die ich persönlich zu bewundern gelernt habe. Das war Anfang 1960. Zu gern wollte Elisabeth Lagerfeld, Karls Mutter, dort ins Casino gehen. Doch damals hatten Ortsansässige keinen Zutritt, was sie erst später erfuhr. Die Lagerfelds haben in Baden-Baden sofort ein Haus gebaut, in der Hahnhofstraße 16a, und fast zehn Jahre lang dort gelebt, bis zum Tod des Vaters. Lagerfeld nahm seine Mutter anschließend mit nach Paris. Sie ist der einzige Mensch, mit dem er als erwachsener Mann je zusammenlebte.“

Was hat Karl Lagerfeld denn so erlebt in der Kurstadt?

Alfons Kaiser: „Es gibt diese seltsame Sache mit dem Unfall. Auch deswegen blieb ihm Baden-Baden in Erinnerung. Lagerfeld hatte sein Auto – es soll ein blauer Jaguar E-Type gewesen sein – oberhalb der Einfahrt zur Garage der Eltern geparkt. In die Garage passten zwei Autos, hintereinander geparkt. Die Einfahrt war abschüssig. Lagerfeld war schon im Haus, als sein Auto die Abfahrt runterrauschte. Er hatte vergessen, die Handbremse anzuziehen. Es tat also einen Doppelknall, und nicht nur sein Auto, sondern auch die beiden Autos in der Garage waren kaputt. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn wurde dadurch nicht besser. Karl Lagerfeld und seine Mutter sollen sich hingegen totgelacht haben, wie Lagerfeld erzählte. Der Vater soll es aber nicht verziehen haben, dass sich der Rest der Familie so sehr darüber amüsiert hat. Und bezahlt hat die Autos natürlich er.“

Mit dem Autofahren hatte es Karl Lagerfeld wohl nicht?

Alfons Kaiser: „Auch auf seinen Autofahrten nach Baden-Baden hatte er zweimal Unfälle. Bei der Gelegenheit ist er dann davon abgekommen, überhaupt noch Auto zu fahren. Weil er eben zu viel im Kopf hatte und somit Mühe, sich auf die monotonen Straßen zu konzentrieren. Lagerfeld sagte selbst: ,Ich war nie ein guter Fahrer, weil ich immer in der Gegend herumschaute. Ich wollte alles sehen, nur nicht nach vorn auf die Straße. Das war mir einfach zu langweilig. Wenn ich geradeaus gucken muss, schlafe ich ein.’“

Herr Kaiser, wie gut kennen Sie Baden-Baden?

Alfons Kaiser: „Ich war bislang dreimal in der Kurstadt, finde die Stadt wunderbar! Nicht nur die bekannten Hotels dort, sondern auch die kleinen Gassen. Gefallen hat mir etwa das Antiquariat im Baldreit. Und es gibt sehr schöne Restaurants. Es ist eine sehr schnuckelige Stadt, in der ich gern leben würde.“

Was haben Sie bei Ihren Recherchen in Baden-Baden so erlebt?

Alfons Kaiser: „ Vor etwa zehn Jahren wurde in der Lange Straße eine Wohnung aufgelöst, von einer alten Dame, die verstorben war. Wie sich herausstellte, fand sich dort ein alter Schinken in ihrem Nachlass, mit einer Widmung von Karl Lagerfelds Patenonkel. Das Buch hatte er Lagerfeld 1948 zur Konfirmation geschenkt. Wie das Buch dort zu dieser Dame kam, habe ich leider nicht erfahren. Dieser alte Schinken muss von Lagerfelds Mutter entweder verkauft oder weitergegeben worden sein. Ich habe alle Schilder durchgeklingelt im Haus, doch kein Nachbar konnte mir etwas über die Beziehung der Familie Lagerfeld zu der verstorbenen Dame sagen.“

Wen haben Sie noch in Baden-Baden getroffen?

Alfons Kaiser: „Marga Ullrich. Sie war die junge Nachbarin des Ehepaars Lagerfeld in der Hahnhofstraße. Die Familie Ullrich fand, dass die Lagerfelds angenehme Nachbarn waren. Und Marga Ullrich bekam 1965 zu ihrer Hochzeit von Frau Lagerfeld zwei selbstgehäkelte Topflappen und sechs kleine Obstmesser geschenkt. Sonntags um elf Uhr kamen sie öfter zu Besuch zu den Eltern. Die Ullrichs waren immer sehr nett zu mir, sie haben mir das Haus gezeigt, mit dem wunderschönen Blick auf das Tal der Oos.“

Karl Lagerfeld und die Mode – wäre doch schön gewesen, wenn Baden-Baden etwas von dieser Verbindung gehabt hätte!

Alfons Kaiser: „Es gibt eine Episode, dass jemand in Baden-Baden wohl die Idee hatte, eine Modeschule aufzumachen, unter Mitwirkung von Karl Lagerfeld. Doch wie Karl Lagerfeld dazu stand, dazu habe ich nichts Konkretes erfahren.“

FOKUS Baden-Baden befragte Roland Seiter, den Pressesprecher der Stadt Baden-Baden, zu dieser Sache. Dieser antwortete: „Ja, das war so etwa Mitte/Ende der 1990er-Jahre. Da war das kurzzeitig ein Thema. Allerdings weiß ich nicht, ob Karl Lagerfeld oder seine Mitarbeiter direkt auf die Stadt zukam oder eher auf den damaligen Besitzer des Neuen Schlosses. Denn dort sollte die Modeschule unterkommen. Allerdings wurde das Thema nicht weiter vertieft. Es waren erste Gedanken, die offensichtlich nicht weiter verfolgt wurden.“

Fotos: Archiv Gordian Tork