„Kinderarmut in Baden-Baden: Das darf nicht sein“

17April
2019

Professor Dr. med. Heinrich Liesen ist ein Mann der Tat – ein Menschenfreund, dem das Leid von Schutzbefohlenen zusetzt. Die Zahlen, wie es wirklich um Baden-Badener Kinder steht, erschrecken. Es gilt zu handeln – zum Wohle der Kinder, der Jugend und der Familien.

Herr Professor Liesen, was sollte die Stadt aus Ihrer Sicht für Kinder tun?

Heinrich Liesen: „Wir leben in einer weltweit attraktiven Stadt mit außergewöhnlichem historischen Hintergrund. Doch die Zahl der Kinder, Erwachsenen und alten Menschen, die in Baden-Baden als arm eingestuft werden, ist erschreckend.“

Woran fehlt es?

Heinrich Liesen: „An einem Gesamtkonzept der Stadt, das Verantwortung für das Wohl dieser Menschen und eine aktive „Daseinsvorsorge’ gegen ihre Situation erkennen lässt. Mit dem sozialen Bewusstsein des Bürgermeisters Roland Kaiser hat sein Team eine Chance, hier sukzessive Abhilfe zu schaffen. Dazu müssen Konzepte entwickelt werden. Die sollten neben sofortiger Hilfe auch präventiven Charakter haben.

Die Zahl der rund 1.200 Kinder in Baden-Baden, die auf Sozialleistungen angewiesen sind – viele mit Migrationshintergrund – ist bedrückend. Sollen dauerhafte Konzepte gegen ihre Armut, auch im späteren Leben, wirksam sein, müssen sie neben der Vermittlung von Bildung auch die von Selbstverantwortung und sozialer Kompetenz bewirken.“

Haben Sie Vorschläge, wie man das verhindern könnte?

Heinrich Liesen: „Das Vorschuljahr im Kindergarten sollte verpflichtend gemacht werden, auch wenn das gesetzlich nicht verankert ist. Dadurch werden die Chancen für eine erfolgreiche Teilnahme am Grundschulunterricht, insbesondere bei den Kindern verbessert, bei denen zu Hause kein Deutsch gesprochen wird. Baden-Baden sollte hierzu ein Modell entwickeln, das als Alleinstellungsmerkmal gelten kann. Weiterhin:

  • Die Kinder aus verarmten Familien sollten an den Schulen ausgestattet werden. Über den Aufbau eines Stiftungsfonds bei der Bürgerstiftung mit einem Minimum an Verwaltungskosten. Ist es nicht erschreckend, wenn ein Zehnjähriger weint, weil sein Stift zerbrochen ist und die alleinerziehende Mutter ihm erst in 2 Wochen einen neuen kaufen kann oder ein anderer auf seinem Weihnachtswunschzettel nur schreibt: Ich wünsche mir neue Unterhosen?
  • Es sollte eine gesunde, für diese Kinder kostenlose Ernährung zumindest in der Grundschule angeboten werden. Die über die Bundes- und Landesunterstützung hinausgehende Finanzierung dürfte ebenfalls über Spenden von einem Stiftungsfond zu leisten sein.
  • Es ist wissenschaftlich unstrittig, dass stundenlanges Surfen und Spielen im Internet im Kindesalter die Entwicklung des Gehirns schädigt, mit Verlusten an Lernfähigkeit und der Gefahr der sozialen Verrohung und Aggressionsbildung. Vor allem Kinder, die in Armut leben, nutzen häufiger exzessiv bis in die Nacht das Internet. Diesem digitalen Distress kann man durch entlastende Maßnahmen in den Schulen Bereits über fünf Minuten spielerisch geleistete Koordinationsübungen nach Unterrichtsstunden regenerieren das Stresssystem im Gehirn.
  • Den Kids sollten die Formen von Bewegung und Sport beigebracht werden, die ihnen Spaß machen und die sie möglichst auch nach der Schule praktizieren können. Dafür sind entsprechende Angebote, auch außerhalb von Vereinen aufzubauen, wie etwa der im Bau befindliche, frei nutzbare kleine Fitnesspark an der Klosterwiese in Lichtental unmittelbar an der Spielwiese. Die Vereine sollten so unterstützt werden, dass sie allen Kindern ihre Programme kostenlos anbieten können.
  • Eine solche Infrastruktur, die auch Erwachsene, Familien und ältere Menschen nutzen können, stellt die Voraussetzung für eine Sportstadt Baden-Baden Und nicht ein zusätzlicher internationaler Sportkongress wie der des IOCs, den sich die OB wünscht, um dann den selbstgewählten Titel „internationale Sportstadt“ zu führen.“

Wie ist es um die weiterführenden Schulen bestellt?

Heinrich Liesen: „In der weiterführenden schulischen Ausbildung wird in Baden-Baden sehr gute Arbeit geleistet. Wenn die genannten Ideen realisiert werden, dürfte auch das Kind aus armen Verhältnissen daran teilnehmen können. Voraussetzung: Es hat früh Eigenverantwortung gelernt, entsprechend Einsteins These:,Genie ist Fleiß’. Jedoch sollte für Absolventen in Baden-Baden eine Studienmöglichkeit aufgebaut werden.

Eine staatliche Hochschule in Baden-Baden?

Heinrich Liesen: „Genau! Die EurAka ist im Wesentlichen eine Verwaltungsbehörde, die vor allem Studentenwohnheime (fast ohne Studenten) verwaltet. Dafür zahlen die Bürger der Stadt weit mehr als eine Millionen Euro im Jahr.

Eine Umfrage bei Jugendlichen auf FOKUS Baden-Baden mit 150 Teilnehmern favorisiert Studienschwerpunkte wie Medien, Hotellerie- Gastronomie, Musik und Architektur. Eine staatliche Hochschule aufbauen – das sollten wir mittelfristig umsetzen.“