„G8 bringt nur Nachteile“

04Mai
2021

Die Initiative „Bündnis G9-jetzt!“ kämpft für das neunjährige Gymnasium in Baden-Württemberg. Und feiert Erfolge. FOKUS Baden-Baden sprach mit Anja Plesch-Krubner, die sich dafür stark macht – und auch einen Volksentscheid nicht scheut.

Der Unsinn des Turbo-Abiturs

Viel Kritik gibt es am achtjährigen Gymnasium: Da ist von Bulimie-Lernen die Rede, vom Turbo-Abitur, von überforderten Kindern, Eltern, Lehrern und Schulleitern. Corona verstärkt das Problem von G8 noch: Rund ein halbes Jahr Präsenzunterricht ist Corona-bedingt bereits ausgefallen – Tendenz steigend. Selbst leistungsstarke Schüler weisen am allgemeinbildenden Gymnasium deutliche Lerndefizite auf.

In Baden-Baden ist G9 nur am Markgraf-Ludwig-Gymnasium möglich –doch immer mehr Eltern drängen darauf, dass noch mehr Schulen mitmachen.

„Schule ist nicht alles“

Amalia Setzler und ihr Mann Florian, Ortschaftsrat der FBB in Ebersteinburg, sind für G9. Sie haben zwei Kinder im Alter von fünf und neun Jahren. „Wir sind schon seit langem treue Unterstützer der Petition. Die vielen Ausfälle durch die Schulschließungen verschärfen das Problem nochmal weiter. Aber auch ohne diese sahen wir das schon immer kritisch. Uns stört vor allem, dass den Schülern frei planbare Zeit verloren geht. Wer ein gutes Abitur ablegen will, muss meist sowieso schon viel für die Schule tun. Aber Schule ist nicht alles. Auch und gerade Schüler ab Klasse 10 sollten die Freiheit haben, sich außerschulisch nicht nur am Wochenende zu engagieren. Ganz gleich ob im Verein oder individuell, ob sportlich, künstlerisch oder sozial. Wer die Schule nicht vernachlässigen will, hat bei G8 dafür zu wenig Zeit.
Es war schon eine Enttäuschung, dass es im Wahlkampf zur Landtagswahl quasi ein Alleinstellungsmerkmal der Freien Wähler war. Entsprechend erwartbar, aber dennoch für uns ärgerlich ist, dass die neue, alte Landesregierung weiter stoisch daran festhalten will.“

Ein Etappenziel ist erreicht

Endlich etwas verändern: Das haben sich zwei starke Frauen auf die Fahne geschrieben: Anja Plesch-Krubner und Corinna Fellner sammeln online fleißig Unterschriften für ihre Petition, die sie dem Landtag vorlegen wollen. Das erste Etappenziel ist erreicht: Die Petition für ein „Corona-Aufholjahr“ im G9-Modus (www.openpetition.de/!aufholjahr) hat am Dienstag, 13. April 2021 nach rund fünf Wochen Laufzeit das Quorum von 21.000 Unterzeichnern überschritten. Unter Quorum versteht man die Anzahl Stimmen, die man sammeln muss, damit eine Wahl oder Abstimmung Gültigkeit erlangt.

Zu viele Nachteile mit G8

„Wir sind eine Initiative, die sich 2017 gegründet hat“, erklärt Anja Plesch-Krubner aus Heidelberg. Sie hat zwei Kinder im schulpflichtigen Alter und kennt das Thema G8 aus nächster Nähe. „Wir sind uns einig, dass G8 eine total misslungene Reform ist, die viele Nachteile mit sich bringt. Das habe ich bei meinem Sohn hautnah erlebt. Der Nachmittagsunterricht erlaubt kaum mehr Hobbys. Der Standardsatz meines Mannes am Freitagnachmittag lautet: ,Das Kind ist noch in der Schule, aber die Büros sind schon zu.’

2018 haben wir eine Petition eröffnet für G9 und uns für ein flächendeckendes G9 eingesetzt, das zeitgemäß ist und hochwertig – mit der Möglichkeit einer Überholspur für Kinder, die ein Jahr überspringen und G8 machen wollen.“ Die Ärztin hatte sich das Thema G9 übrigens auch als Kandidatin der Freien Wähler für die Landtagswahl 2021 auf die Fahnen geschrieben.

Corona hat das Problem noch verschärft

„Dann kam Corona“, fährt sie fort. „Wir wollten schon unsere Unterschriften symbolisch in Stuttgart übergeben. Doch dann kamen Briefe von Eltern, die schrieben: Macht die Petition wieder auf! Wann, wenn nicht jetzt? Denn wie sollen Lehrer die Lerninhalte noch vermitteln? Wir sind jetzt gewachsen zum Bündnis, sind im Schulterschluss mit Lehrern und Hochschulprofessoren. Und, ganz ehrlich: Ich kenne keinen Schulleiter, der sagt: G8 ist gut. Tief in ihrem Herzen wünschen sich viele von ihnen G9 und sagen uns vor vorgehaltener Hand: ,Das müssen die Eltern machen, aber bitte schnell!’“

Es geht um hochwertige Bildung

Und sie wird nachdenklich: „Ich glaube, Kinder brauchen ihre Zeit, um sich sozial zu entwickeln. Ich finde, die Schulzeit muss auch Angebote machen – und wenn es Latein oder Altgriechisch ist. Bildung ist Angebot, und manche Kinder entdecken erst spät, was sie mal werden wollen. Bis dahin ist Schule ein Schutzraum mit Angeboten zu einer hochwertigen Bildung, in dem Kinder Zeit haben und sich selbst finden. Das Fundament der Bildung muss stabil sein, damit wir keine kranken jungen Menschen aus der Schule entlassen.“

Die engagierte Mutter weist auf Studien hin, die belegen, dass G8 mehr schadet als nützt: „Es gibt eine Studie, die zeigte, dass eine längere Beschulungszeit zu einer Erhöhung des IQ führt. Und: G 8 schwächt die Bildungsgerechtigkeit. Das hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim nachgewiesen.“

Weniger Mathe, kein Bio-Unterricht, kaum Geografie

Ihre größte Kritik an G8 ist die fehlende Zeit fürs Lernen und für Hobbys, aber auch der Qualitätsverlust der Bildung: „Es soll keiner glauben, dass bei G8 dieselbe Bildungsqualität herauskommt wie bei G9. Man hat definitiv nicht mehr so viel Mathe-Unterricht. Meine Tochter ist in der 8. Klasse – sie hat gerade überhaupt keinen Biologie-Unterricht, und das, obwohl draußen gerade eine Pandemie tobt! Oder Geografie – hatte mein Sohn nur eine Wochenstunde. Dabei ist das ein wichtiges Fach, gerade, wenn man über Klimawandel spricht und Zusammenhänge erklären will.“ Ihr Appell: „Gebt den Kindern die Zeit zu lernen zurück und lasst sie den Stoff zum entwicklungsgerechten Zeitpunkt lernen!“

Eine 11. Klasse einschieben

Der Plan ist nun folgender: „Eine elfte Klasse soll eingeschoben werden, die Bildungspläne kann man linear strecken. Das wäre eine ziemlich geniale Sache, die auch sofort möglich wäre. Es gibt ja Bildungspläne dafür, die man nur aus der Schublade holen muss.“

Die Heidelbergerin freut sich, dass nun mehr als 21.000 Unterschriften zusammengekommen sind. Und sie appelliert: „Jetzt dürfen wir nicht nachlassen: Je mehr Stimmen, desto mehr Druck. Wir planen, ein Volksbegehren durchzuführen. Wir brauchen aber noch viel mehr Menschen, die die Petition unterschreiben.“

Wer das tun will: Hier geht’s zur Website:
https://www.openpetition.de/petition/online/corona-aufholjahr-im-g9-modus-zur-rettung-der-bildungsqualitaet

Foto: Konrad Gös