„Etwas mehr Ruhe würde unserer Welt guttun“

05Mai
2020

Wie empfinden die Bürger Baden-Badens die aktuelle Corona-Krise? Interview mit Thierry Muller. Der gebürtige Straßburger lebt seit einigen Jahren in der Kurstadt.

Herr Muller, Sie sind Baden-Badener, pendeln aber täglich für die Arbeit nach Straßburg. Fahren Sie aktuell über die Grenze?

Thierry Muller: „Nein, zum Glück muss ich aktuell nicht vor Ort sein. Sonst würde die Rückfahrt von Straßburg nach Baden-Baden statt normalerweise 45 Minuten wohl eher zwei Stunden dauern.“

Fehlt Ihnen Frankreich?

Thierry Muller: „Ja, natürlich! Meine Mutter lebt in Straßburg, auch mein Sohn und viele unserer Freunde. Viele Verabredungen fallen jetzt flach, weil weder wir noch unsere Freunde für ein Abendessen oder einen Geburtstag über die Grenze fahren dürfen. Mir fehlen auch die Einkäufe: Wein, Fisch, Käse – in Frankreich ist die Auswahl einfach viel größer, auch wenn man in Baden-Baden schon sehr gut einkaufen kann.“

Wie geht es dem Teil Ihrer Familie, der in Frankreich lebt?

Thierry Muller: „Zum Glück geht es allen gut. Meine Mutter wird von ihrem Enkel und den Nachbarn versorgt. Bei ihr merkt man allerdings schon, wie sehr die Ausgangssperre an den Nerven zerrt: Sie sieht weder ihre Kinder, noch kann sie ihren Aktivitäten wie Yoga, Museums- oder Restaurantbesuchen nachgehen. Ich rufe sie jeden Abend an, nicht nur in Corona-Zeiten, einfach, um sie ein bisschen aufzuheitern. Meine Schwester und ihr Mann sind gerade nach Südfrankreich gezogen – doch von den tollen Restaurants dort, den Fischmärkten und den Stränden haben sie noch nichts mitbekommen, da alles wegen der Corona-Krise geschlossen ist. Ich hoffe sehr, meine Familie bald wiederzusehen.“

Es hat im Grenzgebiet Anfeindungen von Deutschen gegenüber Franzosen gegeben. Haben Sie solche auch erlebt?

Thierry Muller: „Ich habe im Bekanntenkreis gehört, dass Landsleute aufgrund ihres französischen Kennzeichens in Deutschland beschimpft wurden. Mir selbst ist das nicht passiert.“

Was beunruhigt Sie vor allem in dieser Krise?

Thierry Muller: „Die Wirtschaft leidet, es wird zu einer großen Rezession kommen, viele Menschen werden ihre Arbeit verlieren. Für Frankreich ist das noch schwieriger zu schultern als für Deutschland, weil wir nicht so große Geldreserven haben. Frankreich war gerade dabei, wirtschaftlich wieder nach oben zu kommen. Und jetzt zerschlägt die Krise alles wieder.“

Gibt es auch einen Effekt der Corona-Krise, aus dem wir etwas lernen können?

Thierry Muller: „Ja, ich bin froh, dass sich das Klima gerade erholt vom Dauerstress durch Autos, Flugzeuge, Kreuzfahrtschiffe und Fabriken. Das ist unglaublich. Außerdem erobern Tiere wieder Terrain zurück: Am Strand von Biarritz tummeln sich tausende von Flamingos. In Paris laufen Wildschweine und Hirsche durch die Straßen – so wie in vielen anderen Metropolen der Welt. Etwas mehr Ruhe würde unserer Welt guttun und wären eine echte Chance für die Natur.“

Worüber freuen Sie sich vor allem, wenn die Krise wieder vorbei ist?

Thierry Muller: „Darauf, die französischen Freunde und die Familie wieder zu sehen. Ins Restaurant und in Konzerte zu gehen. Und natürlich würden wir gern mal wieder verreisen. Mit etwas Glück klappt es ja mit unserem Urlaub im September.“

Foto: FBB-Archiv