Ein Herz für Kunden

06Dezember
2022

Der Ruf der Beamten ist in der Regel eher mittelmäßig. Cornelia Mangelsdorf traf auf einen Stadtangestellten, der ihr 40 Minuten lang Rede und Antwort stand und wertvolle Hilfe leistete. Ein Kommentar.

Ich war noch nie beim Finanzamt. Meine Steuererklärungen haben bislang Steuerberater erledigt. Doch vor kurzem hat mich der Ehrgeiz gepackt, meine Belange selbst in die Hand zu nehmen. Vergangenen Mittwoch war dann Premiere: Ich hatte online einen Termin beim Finanzamt gebucht und fand mich pünktlich um 11.15 Uhr in der Stephanienstraße ein.

40 Minuten Zeit für mein Anliegen

Ich klingelte und wurde sogleich an der Tür abgeholt. „Frau Mangelsdorf? Sie haben einen Termin bei mir.“ Ich war richtig aufgeregt, denn ich hatte ein ganzes Paket an wichtigen Fragen im Gepäck. Von Steuerberatern bin ich eine gewisse Überheblichkeit gewöhnt – der Herr vor mir schien ohne Allüren zu sein.

Himmlische Ruhe – und vor allem Diskretion

Die Büros waren alle leer, bis auf das „meines“ Finanzbeamten: „Personalmangel“, erklärte er, als ich fragte, wo denn seine Kollegen seien. Nun gut, so konnten wir offen über Zahlen sprechen. Nebenan stand ein geschmückter Weihnachtsbaum und ich kam mir auf einmal gar nicht mehr wie in einer Behörde vor.

Ein Termin, von dem viel abhängt

Mein Anliegen, warum ich gekommen war, war zwar nicht kompliziert, für mich aber Neuland: Ich wollte mir einen Freibetrag eintragen lassen, um meine Lohnsteuer zu mindern. Mein Sohn studiert – fragen Sie jetzt nicht, was ein WG-Zimmer in Stuttgart kostet! – und meine Mutter ist seit kurzem Seniorenheim. An diesen Kosten beteilige ich mich auch. Damit mehr netto vom Bruttogehalt bleibt, kam ich auf die Idee mit dem Freibetrag. Natürlich hatte mir mein Steuerberater diesen Wink nicht gegeben.

Geschafft!

Ich hatte ein Formular ausgefüllt und mitgebracht. Welches ich brauchte, hatte ich telefonisch beim Finanzamt erfragt. Eins nach dem anderen arbeitete der hilfsbereite Beamte meine vielen Fragen ab – und zu guter Letzt gab er mir noch einen Tipp für die Steuererklärungen meines Sohnes. Die ganzen 40 Minuten über hatte ich das Gefühl, dass sich hier jemand vorbildlich um meine Belange kümmert. Was ich auch fragte – der Herr hatte eine Antwort. Danach war es geschafft: Wir einigten uns auf einen Freibetrag. Und regelten im Nachgang noch ein paar anhängige Steuerthemen. Ganz ehrlich: Dieser Mann hat mich motiviert, meine Steuererklärung ab jetzt selbst zu machen. Das Geld für den Steuerberater kann ich mir wirklich sparen, denn hier auf dem Amt wird mir geholfen. Hilfsbereitschaft, Kompetenz und Menschlichkeit habe ich erlebt. Der Mann ist ein Glücksfall.

Ein Geschenk des Himmels

„Ich habe für jeden ein offenes Ohr, der durch diese Tür kommt“, sagte der Beamte zum Abschied. Das habe ich gemerkt. Als ich das Gebäude verließ, machte ich innerlich einen Luftsprung. So kann es also auch gehen! Und es klingt vielleicht komisch, aber es ist wahr: Ich freue mich jetzt schon auf meinen nächsten Termin beim Finanzamt.

Fotos: Ben Becher