Wo liegt der richtige Ort für die Synagoge?

01Januar
2018

Gelegentlich hatte man in den letzten Wochen den Eindruck, als ob in Baden-Baden ein Streit darüber toben würde, ob eine neue Synagoge gebaut werden solle.

Dieser Streit existiert nicht. Es gibt jedoch eine heftige Auseinandersetzung darüber, wo die neue Synagoge gebaut werden sollte. Soll die Synagoge samt Gemeindezentrum in der Fürstenbergallee entstehen, oder wäre es nicht selbstverständlich richtiger, die Synagoge mit Gemeindezentrum dort zu errichten, wo sie bis zur Schändung und Zerstörung bis 1938 stand: nämlich in der Vincentistraße, dort, wo heute der Parkplatz des Badischen Tagblatts liegt. Und mit Verlaub: bei dieser Frage geht es nicht so sehr um das formale Recht als vielmehr um die moralische Frage, wie eine Stadt mit ihrer eigenen Geschichte umgeht. Es geht um den Ordre public.

Der Hauptakteur in dieser Auseinandersetzung, nämlich die jüdische Kultusgemeinde ist hoffnungslos zerstritten. Abgesehen davon, dass die alte jüdische Gemeinde nach 1938 und der Zerstörung ihrer Synagoge ausgelöscht wurde und die heutige (zugewanderte) jüdische Gemeinde hauptsächlich aus Immigranten aus Russland besteht, die in der Mehrheit kaum Deutsch versteht. Wenn man so will: die alte jüdische Gemeinde hat man ausgelöscht, verjagt und vergast. Die neue ist nach meinem Eindruck noch nicht vollständig in Deutschland angekommen. Jedenfalls ist sie in sich zerstritten und die Fraktionen bekämpfen sich erbittert mit juristischen Verfahren: wer darf sie vertreten? Ganz klar: so lange diese Frage nicht abschließend geklärt ist, wird die jüdische Gemeinde so wie jetzt vertreten.  Das Problem: ihr geht es lediglich um den Neubau einer Synagoge, egal wo. Also versuchen sie es jetzt in der Fürstenbergallee. Das Grundstück wurde bereits erworben, erste Vorentwürfe für den Baukomplex sind bereits erstellt.

Das könnte uns Baden-Badener Bürgern recht sein, schließlich ist es (formal wenigstens) die jüdische Gemeinde, die dieses beantragt. Aber es geht hier auch um die Ehre und die Moral unserer Stadt. Die alte Synagoge wurde unter den Augen der Bürger dieser Stadt verbrannt, die jüdischen Gemeindemitglieder wurden auf viehische Weise gezwungen, ihr Gotteshaus zu entweihen. Viele Bürger haben zugeschaut. Andere haben sich schon damals geschämt. Die gequälten jüdischen Mitbürger wurden ins KZ gesteckt und später vergast, wenn sie nicht fliehen konnten. Es gibt ein zu Herzen gehendes Dokument von Dr. Arthur Flehinger, das ich im Anhang beifüge für die, welche es noch nicht kennen. Das, was dort fast kühl und sachlich beschrieben wird, das ist passiert und kann nicht wieder „gut gemacht“ werden. Aber wir haben Tod und Leiden unserer Mitbürger zu respektieren. Und ob die anschließende Enteignung des Grundstückes der Synagoge juristisch Bestand haben kann, ist doch wohl mehr als fraglich, wie wir aus vielen sonstigen Enteignungsvorgängen jüdischen Besitzes wissen: der ganze Vorgang dieser Enteignung ist mehr als fragwürdig.

Wichtiger ist jedoch das moralische Problem für die Stadt Baden-Baden. Dürfen wir es zulassen, dass der Neubau der Synagoge an den Stadtrand und den Zubringer verlegt wird? Dürfen wir das selbst dann zulassen, wenn die (neue, kaum Deutsch sprechende) jüdische Gemeinde formal das beantragt? Müssen wir nicht unsere neuen Mitbürger auf die tragische Geschichte ihrer Vorgänger unter den Nazis hinweisen und sagen: es gehört sich einfach nicht, sich aus der Mitte der Stadt (in der Stephanienstraße) an den Zubringer zurück zu ziehen? Darf unsere Stadtplanung so selbstvergessen handeln?

Das alte Synagogengrundstück gehört heute zum Imperium des Badischen Tagblatts. Dieses gehört seit über 100 Jahren den gleichen Familienstämmen: sie wussten, was für ein Grundstück sie nach 1938 kauften. Sie kannten diese Geschichte der geschändeten und verbrannten Synagoge und die mehr als fragwürdige Enteignung der jüdischen Gemeinde. Heute ist der Platz der ehemaligen Synagoge ein Parkplatz (!) des BT. Mit einigem guten Willen könnte man sich sehr wohl auch einen Kompromiss vorstellen: ein in den Berg versenktes Parkhaus mit womöglich zwei Stockwerken, darüber die Synagoge. Der Platz ist so, wie jüdischer Brauch ihn vorschreibt (eine Synagoge soll „fußläufig erreichbar“ sein). Warum also nicht nach einem baulichen Kompromiss suchen, der die Interessen des BT (sie nutzen den Standort ja nur als Parkplatz und sie könnten ihn so weiter nutzen) berücksichtigt und ein Stückchen würdevolles Bauen für die neue jüdische Gemeinde ermöglicht?

Der richtige Platz für die Synagoge ist kein Eigentumsproblem des Badischen Tagblatts, auch wenn es so scheint. Es ist ein erstrangiges städtisches Problem, das bei gutem Willen mit einigem Verhandlungsgeschick auch gelöst werden kann. Es geht um unsere Ehre! Der Untergang der Baden-Badener Synagoge ist ein deutsches Ereignis gewesen (siehe die Briefmarke), es wird zu einer Baden-Badener Schand- und Lachnummer, wenn wir es zulassen, dass die Synagoge an den Rand in das Gewerbegebiet der Weststadt gedrängt wird, nur weil die Stadt nicht den Mut hat, hier auf eine historisch und moralisch richtige Lösung zu drängen. Müssten wir die Stiftskirche neu bauen nach einer ähnlichen Katastrophe, würden wir sie dann nach Sandweier verlegen? Doch wohl nicht! Wir brauchen also eine mutige Entscheidung der Stadt Baden-Baden, welche der moralischen Situation angemessen ist.

(Bericht von Arthur Flehinger über den Pogrom 1938)

Gegen Mittag öffnete sich das Tor und ein Zug Wehrloser mit viel Bewachung rechts und links, begann sich durch die Straßen der Stadt zu bewegen. Man hatte bis Mittag gewartet, offenbar um der Menge etwas zu bieten. Aber zur Ehre der Badener sei es gesagt, daß die meisten doch davor zurückschreckten, sich auf der Straße zu zeigen. Was an Zuschauern zu sehen war, war Pöbel. Pöbelhaft benahmen sich drei Lehrer. – Einer von ihnen, Herr Dr. M. ließ wohl nur den Zug an sich vorbeidefilieren, dagegen hatten der Direktor der Volksschule, Herr Hugo M. und sein Freund, Herr S., eine Anzahl junger Schüler mit Bonbons gefüttert, damit sie ja gut im Chor >Juda verrecke< schrien. Ob diese Inszenierung wirklich zur Belustigung der Zuschauer beitrug, möchte ich stark bezweifeln. Ich sah Leute, die hinter dem Vorhang weinten. Einer aus der Reihe der anständigen Baden-Badener soll behauptet haben: >Was ich sah, war nicht ein Christus, sondern eine ganze Reihe von Christusgestalten, erhobenen Hauptes und nicht gebeugt von dem Bewußtsein einer Schuld schritten sie daher.<
Der Zug näherte sich der Synagoge, wo die obersten Stufen der Freitreppe schon mit allerhand Gesindel in und ohne Uniform angefüllt war. Das war ein richtiges Spießrutenlaufen. Man mußte an dem Gesindel vorbei, und an wüsten Schmährufen ließen es die traurigen Gestalten wirklich nicht fehlen. Ich selbst hatte auf dem ganzen Zug den Leuten fest in die Augen geschaut, und als wir uns der obersten Stufe näherten, schrie einer herunter: „Guck net so frech, Professor!“
Das war schließlich weniger eine Beleidigung als ein Eingeständnis der Schwäche und der Furcht. Meinem Freund Dr. Hauser gegenüber, der in Baden-Baden ein vielbeschäftigter und hochangesehener Anwalt war – man hatte ihn und seine Frau später aus Südfrankreich nach Celle und von dort in die Todeskammer nach Auschwitz gebracht -, zeigte sich der Mob weniger gnädig. Der Ärmste erhielt von den Vertretern des Faustrechts allerhand Faustschläge, und ich sah den Bejammernswerten dann noch auf einem Gebetmantel fallen, den die Nazis auf dem Boden ausgebreitet hatten, damit wir darüberschritten.
In der Synagoge war alles wie verwandelt. Das Gotteshaus wurde zum Tummelplatz schwarzer, uniformierter Horden. Ich sah, wie oben in der Frauengalerie Leute geschäftig hin und herliefen und Leitungsdrähte legten. Es waren keine Badener.
Man ließ für den 10. November SS aus den Nachbargemeinden kommen als Leute, die durch das Fehlen auch nur eines Funken von menschlichen Mitgefühl in ihrer Bewegungsfreiheit nicht gehemmt wurden und daher ihr ruchloses Machwerk ungestört durchführen konnten. Plötzlich ertönte eine freche, fette Stimme: „Ihr singt jetzt das Horst-Wessel-Lied.“ Es wurde so gesungen, wie es jeder erwartet hatte. Wir mußten es zum zweiten Mal singen. Dann rief man mich hinauf zum Almemor (Vorlesertisch) und gab mir eine Stelle aus >Mein Kampf< zu lesen. Eine Weigerung hätte unter den damaligen Umständen das Leben der Mitleidenden gefährdet. So sagte ich: „Ich habe den Befehl erhalten, folgendes vorzulesen;“ und ich las leise genug. In der Tat so leise, daß der hinter mir stehende SS-Mann mir mehrere Schläge in den Nacken versetzte.
Denjenigen, die nach mir Proben der feinen literarischen Nazi-Kochkunst mitteilen mußten, erging es nicht besser. Dann gab es eine Pause. Wir mußten in den Hof, damit wir unsere Notdurft verrichteten. Wir durften aber keineswegs das Klosett benutzen, sondern mußten mit dem Gesicht gegen die Synagoge dastehen und bekamen dabei von hinten allerlei Fußtritte.
Von der Synagoge ging es dann in das gegenüberliegende Hotel Central.
Der Hotelbesitzer, Herr Lieblich, dem das schöne Tagesprogramm natürlich nicht vorher angesagt worden war, mußte für ungefähr 70 Personen in Essen improvisieren. Bezüglich unseres weiteren Schicksals gab es dann ein großes Rätselraten.
Was man mit uns vorhatte, wußte niemand. Wir waren ja von der Außenwelt vollkommen abgeschnitten. Unsere alles andere als stillen Erwägungen wurden dann jäh unterbrochen, als der Kantor der Gemeinde, Herr Grünfeld, leichenblass den Saal betrat und blutenden Herzens die Worte sagte: „Unser schönes Gotteshaus steht in Flammen.“ Nun wußten wir, wozu die Drahtleitung gelegt war. Der brutalste der Hitlerbande kommentierte die traurige Botschaft des Herr Grünfeld, indem er noch den frivolen Satz hinzufügte: >Wenn es auf mich angekommen wäre, wärt ihr alle in den Flammen umgekommen!<
Der Autobus wartete schon vor der Tür, und mit ihm eine ganze Anzahl >wütender Volksgenossen<. Die Deportation nach Dachau war schon längst geplant, nur wir Armen wußten es nicht. Im Laufschritt mußten wir hinaus zum Autobus rennen, und wer nicht schnell genug rannte, bekam einen Denkzettel. Am Bahnhof warteten wir auf den Sonderzug aus der Freiburger Gegend. Er brachte die Juden aus dem Oberland. In jedem Abteil saß ein Schutzmann. Aus seinem Mund kam keinSterbenswort. Als der Zug hinter Karlsruhe in Richtung Stuttgart fuhr, hörte man nur das grausige Wort >Dachau<.“
Dr. Arthur Flehinger
Studienrat am Badener Gymnasium (MLG)

Foto: Ben Becher