Neue Rechte für Europäer gefordert

14Mai
2021

Ferdinand von Schirach ist Jurist und Schriftsteller. Jetzt hat er ein 31 Seiten schmales Bändchen vorgelegt: „Jeder Mensch“ beinhaltet sechs Artikel, die er fordert, als Grundrechte in die Europäische Union einzubringen.

Rund 50 Menschen waren am 9. Mai zum halbstündigen Treffen von „Pulse of Europe“ vor dem Theater gekommen. Die Baden-Badener Gruppe ruft alle paar Monate zu kurzen Kundgebungen auf, um über Europa zu sprechen, es weiter voranzubringen und den Sinn Europas immer wieder ins Gedächtnis zu bringen: Frieden sichern, Freiheit beschützen, Rechte bewahren oder wenn nötig einfordern.

Es geht um die Würde des Menschen

Um Grundrechte ging es am Sonntag: und zwar um solche, die noch nicht festgeschrieben sind – formuliert von einem, der sich mit Recht und Gesetz auskennt: Ferdinand von Schirach. Einer seiner Vorfahren war Gründervater der Vereinigten Staaten. Sein Großvater, Baldur von Schirach, war hingegen einer der Hauptkriegsverbrecher der Nationalsozialisten und wurde in Nürnberg 1946 zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, wie von Schirach selbst mitteilt. Er weiß also aus nächster Nähe, wie schnell die Würde eines Menschen in Gefahr geraten kann. Genau darum geht es ihm: Würde. Sein Credo: Niemand darf zu einem bloßen Objekt gemacht werden. Deshalb hat er sechs neue Grundrechte formuliert, die vielleicht schon morgen die Welt verändern könnten.

Neue Zeiten brauchen neue Rechte

Doch warum braucht man diese überhaupt? Es gibt doch eine Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die auf der Menschenrechtskonvention basiert, auf den Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten und der europäischen Rechtssprechung. Laut von Schirach ist die Charta etwas kraftlos. Unter anderem deshalb, weil wir heute vor neuen Herausforderungen stehen. Globalisierung, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz etwa sind Themen, die vor 20 Jahren noch Neuland waren. Eine Verfassung, betonte „Pulse of Europe“-Organisatorin Evelin Wirbitzky am Sonntag, habe die EU bislang nicht.

Sechs neue Grundrechte

„Stellen Sie sich deshalb vor, es gäbe sechs neue Grundrechte“, schreibt von Schirach in seinem kleinen blauen Büchlein, „die einfach sind, naiv und Ihnen utopisch erscheinen mögen. Aber genau darin könnte ihre Kraft liegen.“

Und hier sind sie – vorgetragen wurden diese am Sonntag von Oliver Jacobs, Schauspieler am Theater Baden-Baden.

Artikel 1: Umwelt

Jeder Mensch hat das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben.

Artikel 2: Digitale Selbstbestimmung

Jeder Mensch hat das Recht auf digitale Selbstbestimmung. Die Ausforschung oder Manipulation von Menschen ist verboten.

Artikel 3: Künstliche Intelligenz

Jeder Mensch hat das Recht, dass ihn belastende Algorithmen transparent, überprüfbar und fair sind. Wesentliche Entscheidungen muss ein Mensch treffen.

Artikel 4: Wahrheit

Jeder Mensch hat das Recht, dass Äußerungen von Amtsträgern der Wahrheit entsprechen.

Artikel 5: Globalisierung

Jeder Mensch hat das Recht, dass ihm nur solche Waren und Dienstleistungen angeboten werden, die unter Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht werden.

Artikel 6: Grundrechtsklage

Jeder Mensch kann wegen systematischer Verletzungen dieser Charta Grundrechtsklage vor den Europäischen Gerichten erheben.

Petition an das Parlament

Durch eine Petition an das EU-Parlament können die Bürgerinnen und Bürger der EU erwirken, dass diese Rechte Einlass finden in die EU. Wenn Sie das tun wollen, können sie über die Website jeder-mensch.eu für diese sechs neuen Grundrechte stimmen.

Foto: FBB-Archiv