„Ich befürchte, dass mindestens ein Drittel der Betriebe das Handtuch werfen muss“

03November
2020

Wie steht es um die Gastronomie? Können die Betriebe den „Lockdown light“ überstehen? Interview mit einem, der sich auskennt: Markus Fricke, Stadtrat der FBB.

Herr Fricke, den DEHOGA kennen Sie aus nächster Nähe. In welcher Funktion arbeiten Sie für den Verband?

Markus Fricke: „Ich bin seit 33 Jahren Geschäftsführer beim Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA). Von Baden-Baden aus betreue ich knapp 1.200 Mitgliedsbetriebe: vom weltberühmten Gourmet-Tempel über das weltberühmte Fünf-Sterne-Hotel sowie familiengeführte Inhaberbetriebe, Landgasthöfe, Restaurants, Catering-Unternehmen bis hin zum Ein-Mann-Betrieb.“

Was treibt die betroffenen Betriebe seit Verkündung des „Lockdown light“ am vergangenen Mittwoch um?

Markus Fricke: „Der in der Presse „Lockdown light“ genannte Einschnitt verniedlicht das Problem für Hotellerie und Gastronomie. Denn dort schlägt die Maßnahme voll durch.“

Wen trifft der „Lockdown light“ in der Branche am härtesten?

Markus Fricke: „Die Betriebe sind unterschiedlich hart betroffen. Schon die bisherige Zeit verdiente eine differenzierte Betrachtung. Clubs, Diskotheken, Bars sind seit März, ich wiederhole, seit März geschlossen! Die Hotellerie, die wie in Baden-Baden von Kongressen, Kultur, den Rennen in Iffezheim, dem Festspielhaus, dem New Pop Festival, dem Christkindelsmarkt und vielen anderen Veranstaltungen lebt, hatte es schon jetzt sehr schwer. In der reinen Ferien-Hotellerie sah es im Sommer besser aus, aber das Jahr ist auch dort verhagelt. Ebenso differenziert ist die Gastronomie zu betrachten. Ich erwähnte bereits die Event-Gastronomie, Diskotheken und Bars. Bei den Catering-Unternehmen sieht es genauso schlecht aus, und wer keine Außenbewirtschaftung von nennenswertem Umfang hat, der war selbst in diesem wunderbaren Sommer auf verlorenem Posten. In der Gesamtschau ist das gesamte Gewerbe gekniffen.“

Haben die Betriebe nach dem ersten Lockdown denn überhaupt noch Rücklagen?

Markus Fricke: „Ich habe erhebliche Zweifel, ob die gut laufende Außengastronomie und Ferien-Hotellerie genügend Rücklagen bilden konnten, um mehrere Monate Lockdown zu überstehen. Bei allen anderen Betrieben sieht es noch schlechter aus.“

Wie viele Betriebe in und um Baden-Baden, glauben Sie, werden durch die Schließung im November existenziell bedroht sein? Im Land sollen es 60 Prozent sein, heißt es.

Markus Fricke: „Ich befürchte, dass in meinem Betreuungsgebiet, das sich über die Landkreise Rastatt, die Ortenau und den Landkreis Freudenstadt erstreckt sowie den Stadtkreis Baden-Baden umfasst, mindestens ein Drittel der Betriebe das Handtuch werfen muss. Und dabei geht es nicht nur um den Verlust gewachsener Strukturen: Es bringt unheimlich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die fest an der Seite der Betriebsinhaber standen, um die Dinge zum Besseren zu wenden, in vergleichbare Existenzprobleme. Das tut vielen Inhabern unheimlich weh.“

Wird das Geld, das der Staat den Betrieben zuschießen will, reichen, um Pleiten abzuwenden?

Markus Fricke: „Der DEHOGA verkennt nicht die massive Unterstützung des Bundes und des Landes Baden-Württemberg für die Wirtschaft insgesamt, in Baden-Württemberg gerade auch für das Gastgewerbe. Das hat eine spürbare Entlastung gebracht – doch die Lösung ist es nicht. Daran wird auch die angekündigte Hilfe mit bis zu 75 Prozent vom Umsatz des Vorjahresmonats (November 2019) nichts ändern. Wenn für jemanden der November ein schlechter Monat ist, hat er gar nichts davon. 75 Prozent von Null sind bekanntlich Null. Und wenn er im November 2019 auch keinen Umsatz machte, so hatte er doch in den zehn Monaten davor Reserven bilden können. Das ging dieses Jahr nicht. Und was ist eigentlich am 1. Dezember 2020? Ist Corona dann vorbei? Was ist eigentlich mit den Betrieben, die es 2019 im November noch gar nicht gab? Wie sieht es mit den Betrieben aus, die zum Teil durch Außer-Haus-Lieferung einen restlichen Umsatz erzielen können? Bis zu welcher Betriebsgröße soll es eigentlich diese Zahlungen geben? Es darf nicht so sein, dass ein guter Teil der Betriebe durchs Raster fällt. Es gibt noch viele offene Fragen.“

Was wäre, nach Ihrer Einschätzung, die beste Lösung, damit das Gastgewerbe nicht zugrunde geht?

Markus Fricke: „Die beste und nach unserer Einschätzung rechtlich einzig haltbare Lösung wäre es, auf die Schließung von Hotels für touristische Zwecke ebenso zu verzichten wie auf die komplette Schließung der Gastronomie. Die privaten Feiern, die Reiserückkehrer, riesige Hochzeiten sind das Hauptproblem der Vergangenheit und der jetzigen Zahlen. Wenn private Feiern im privaten Bereich daheim ebenso verboten wären wie in der Gastronomie, der Betrieb ansonsten aber aufrechterhalten werden könnte, wäre deutlich mehr gewonnen. Und wenn sich die Kontrollbehörden energisch hinter die Einhaltung der Vorschriften klemmen würden, statt sich mit dem ordnungsgemäßen Inhalt der Speisekarte zu befassen, wäre weitaus mehr gewonnen.“

Der rheinland-pfälzische Hotel- und Gaststättenverband hat der Landesregierung sogar mit einer Klage gedroht, falls sie nicht auf die geplanten Beschränkungen des Gastgewerbes verzichtet. Für Sie nachvollziehbar?

Markus Fricke: „Die angekündigten Maßnahmen sind geeignet, das Infektionsgeschehen zu reduzieren. Nicht alles, was geeignet und vielleicht zweckmäßig ist, ist aber auch rechtmäßig. Denn rechtmäßig ist nur, was auch verhältnismäßig ist. Und daran haben wir erhebliche Zweifel. Auch der DEHOGA Baden-Württemberg ist entschlossen, die Dinge nicht einfach so auf sich beruhen zu lassen. Der DEHOGA selbst kann nicht klagen, er kann aber Mitgliedsbetriebe in geeigneten Fällen unterstützen, auch wirtschaftlich in Bezug auf das Prozessrisiko.“

Foto: FBB-Archiv