„Mir wurde klar, dass man unbequeme Themen nur schwer ansprechen kann“

09Februar
2021

Abitur in Corona-Zeiten: Wie läuft das mit den Vorbereitungen für die Schüler? Nicht immer ganz rund – zumindest nicht im Norden der Republik. Wir haben Alexander* gefragt. Viele seiner Lehrer können keinen Distanzunterricht – doch Kritik und sogar Hilfe wurden abgewiesen. Von pfiffigen Lehrern kann er nur träumen.

Alexander, Du bist Schüler an einem Gymnasium in Schleswig-Holstein und wirst in wenigen Wochen Dein Abitur ablegen. Aktuell hast Du keinen Präsenzunterricht. Wie läuft das?

Alexander: „Ich besuche die 12. Klasse eines naturwissenschaftlich-orientierten Gymnasiums in Schleswig-Holstein. Ich habe das Biologie-Profil gewählt, ergänzend Chemie und das Fach ,Wirtschaft und Politik’. Neben Biologie habe ich Mathe und Deutsch auf erhöhtem Anforderungsniveau. Meine Abiturtermine liegen zwischen Anfang April und Ende Mai. Wir hatten zwischendurch Präsenzunterricht, aber dann auch sehr kurzfristig Distanzunterricht. Es ist ein sehr spontaner und auch anstrengender Wechsel.“

Wie viele Deiner Lehrer sind geübt darin, Euch digital zu unterrichten?

Alexander: „Wirklich sehr gut mit Medien umgehen und uns gut über Distanz unterrichten können an unserer Schule die wenigsten Lehrkräfte. Es ist überwiegend so, dass die Lehrer uns über unsere Schulplattform ,IServ’ Aufgaben hochladen. Diese müssen dann bearbeitet und je nach Lehrer zur Überprüfung abgegeben werden. Genauso gut über Distanz zu unterrichten, wie es in Präsenz war, schaffen nicht mehr als zehn Prozent der Lehrkräfte. 50 Prozent geben Aufgaben, aber selten Rückmeldungen zu den Bearbeitungen der Schüler – und die restlichen 40 Prozent versuchen, Online-Unterricht durchzuführen. Zwei Wochen vor den Osterferien 2020 wurden wir in Distanz geschickt. Online-Unterricht haben drei von zwölf meiner Lehrer gemacht. Die Hälfte hat wieder Aufgaben verteilt und einige haben sich überhaupt nicht gemeldet. Argumentiert wurde das später damit, dass die Lehrkräfte zu diesem Zeitpunkt sich um das Abi 2020 kümmern mussten.“

Wer schafft es gut mit dem Distanzunterricht, wer weniger gut?

Alexander: „Besonders auffällig ist, dass Online-Unterricht vermehrt in naturwissenschaftlichen Fächern stattfindet. Wir hatten bis heute in Geschichte, Wirtschaft und Politik und in Deutsch Aufgaben zum Bearbeiten erhalten. In Biologie, Chemie, Informatik und Mathe hatten meine Lehrer fast jede Möglichkeit über Distanz genutzt, um live zu unterrichten.“

Hast Du das Gefühl, dass Dir der Abi-Stoff gut vermittelt wurde?

Alexander: „Ich denke nicht, dass wir genau so gut auf das Abitur vorbereitet wurden wie die Abiturienten 2019. In unseren Abiturprüfungen soll uns eine größere Auswahl an Aufgaben gegeben werden, damit wir die Möglichkeit haben, das zu bearbeiten, was uns leichter erscheint. Ich bin der Auffassung, dass durch die Covid-19-Pandemie den Schüler*innen meines Jahrganges 50 Prozent des eigentlichen qualitativen Unterrichts in der Schule in der 11. und 12. Klasse entfallen ist.“

Hast Du Deine Lehrer / Deine Schule darauf angesprochen, was nicht rund läuft?

Alexander: „Ich habe einen Freund darauf aufmerksam gemacht, dass die Lehrer Schwierigkeiten haben, mit der Technik umzugehen. Mein Freund war zwar in der Schülervertretung, aber er hat es nicht als notwendig empfunden, mit der Schulleitung ins Gespräch zu kommen. Das Thema wurde erst einige Monate später in einer Schulkonferenz angesprochen. Ich hatte mich dennoch lange zuvor dazu entschieden, direkt an das Kultusministerium meines Landes zu schreiben. Ich denke nicht, dass dieses Problem mit der Digitalisierung und der meist mangelnden Kompetenz der Lehrer nur an unserer Schule vertreten ist. Mir wurde daraufhin mitgeteilt, dass mein Schreiben an den nächstzuständigen Beamten weitergeleitet wird. Zwei Wochen später sagte mein Klassenlehrer zu mir, dass ich nach der Stunde zu der Schulleiterin gehen soll. Als ich dort saß, wurde mir von meiner Schulleiterin gesagt, was mir denn einfallen würde, über ihren Kopf hinaus solche Briefe zu schreiben. Ich erwiderte, dass ich dieses Problem an allen Schulen wahrnehme und dass ich die Befürchtung habe, dass durch mangelnde digitale Kompetenz der Lehrer uns Schülern Material, Lerneinheiten und überhaupt der Unterricht unter den Füßen weggezogen wird. Sie sagte zu mir, dass so etwas bei Schulkonferenzen besprochen wird und sie wirkte auf mich so, als wenn ich den größten Fehler meines Lebens gemacht hätte.

Ich bekam von ihr außerdem ein Schreiben von der zuständigen Aufsicht über alle Schulen in meinem Kreis, in welchem zusammengefasst nur stand, dass meine geschilderten Punkte missverständlich, unklar und unspezifisch wären. Ich wurde darum gebeten, alle Punkte noch stärker auszuführen oder mich mit dem Gespräch meiner Schulleiterin abzufinden. Ich antwortete mit einem noch ausführlicheren Schreiben über acht Seiten, indem ich die genauen Zahlen des Online-Unterrichts aufgezeigt habe, die wenigen Rückmeldungen zu unseren vielen Bearbeitungen aus den Fächern und dazu ergänzt habe ich noch, dass mich Lehrer oft im Unterricht bei technischen Fragen um Hilfe bitten. Dann waren Herbstferien und am ersten Freitag wurde ich noch einmal zu meiner Direktorin eingeladen, die mir geschildert hat, dass ich keinen Einblick in die Arbeit der Lehrer hätte, dass die Lehrer um Ostern 2020 sich um das Abitur kümmern mussten und dass die Lehrer Schulungen über Medienumgang erhalten würden. Außerdem saß meine Oberstufenleiterin auch mit im Raum und schrieb alles, was gesagt wurde, mit. Beide wirkten auf mich sehr angespannt und die Atmosphäre war sehr bedrückend.

Mir wurde nach dem Gespräch klar, dass man unbequeme Themen oder relevante Probleme bei Beamten nur schwer ansprechen kann, egal wie genau man sich ausdrückt oder wie stark man argumentiert. Ich habe nach dem Gespräch außerdem angeboten, Lehrern freiwillig nach der Schule Computerunterricht zu geben. Daraufhin wurde mir nochmals gesagt, dass die Lehrer bereits Schulungen erhalten. Ich weiß nicht ob die Schulungen schlecht sind oder ob die Lehrer auch mal schwänzen, aber ich merke von diesen Schulungen sehr wenig bis gar nichts.“

Was möchtest Du studieren? 

Alexander: „Nach meinem Abitur möchte ich mich an der Universität Bonn und an der Hochschule in Mannheim für den Studiengang Cyber-Security bewerben. Ich plane bis jetzt, nach meinem Master einige Jahre Berufserfahrung zu sammeln und anschließend mich selbstständig zu machen.“

Brauchst Du dafür einen bestimmten Notenschnitt?

Alexander: „An der Universität Bonn gibt es den sogenannten Orts-NC. Die Noten der Bewerber ergeben einen Schnitt und nach diesem Schnitt wird aussortiert. An der Hochschule Mannheim benötigt man für Cyber-Security nur Fachhochschulreife oder Abitur.“

Wie ist die Stimmung Deiner Mitschüler? Und: Könnt ihr gemeinsam kompensieren, was die Schule nicht leisten kann?

Alexander: „Ich würde sagen, dass die Stimmung in Ordnung ist. Es gibt einige, die diese Zeit sehr stark belastet und auch einige wie mich, die versuchen das Beste daraus zu machen. Ich denke es ist für viele meiner Mitschüler sehr anstrengend zwischen den Unterrichtsformen, -orten, und -zeiten zu wechseln.“

Abi-Zeit kennen die meisten von uns als eine ganz besondere Schulzeit, in der man Partys plant, einen Abiball und so weiter. Wie sieht das bei Euch aus?

Alexander: „Ich weiß von vielen Freunden, dass sie gerne feiern würden, den Schulstress mal abbauen und einfach loslassen würden. Das geht nun leider nicht. Ich denke belastend ist auch, dass die Schule nun kein fester Ort für alle gemeinsam ist, sondern mehr ein den persönlichen Raum, dem Rückzugsort von Schüler*innen eindringt. Vor allem im Online-Unterricht ist es sehr merkwürdig die Stimme des Lehrers mehrere Stunden im eigenen Zimmer zu hören. Der Abiball wird wahrscheinlich nicht stattfinden, das steht noch in den Sternen.“

Was nimmst Du als Learning aus dieser am Ende schwierigen Schulzeit mit?

Alexander: „Ich denke es ist am wichtigsten, sich gegenseitig zu unterstützen, sodass jeder etwas davon hat. Schüler können Lehrern oftmals schneller mit der Technik helfen und Lehrer sollten besonders in dieser Zeit die Schüler motivieren und den Unterricht kreativ und spannend gestalten. Was am Ende dabei herauskommt, wird sich zeigen. Die Menschen sitzen am Schluss alle gemeinsam in einem Boot.“

*Da Alexander nach seinem Nachhaken beim Kultusministerium Ärger mit seiner Schule bekam, nennen wir hier nicht seinen vollständigen Namen.

Fotos: FBB-Archiv